18. März 2024

"Auch das bedingungslose Grundeinkommen kommt wieder auf die Agenda"...

 ...ein Kommentar - oder besser gesagt ein ironisierendes Untergangsszenario - von Beat Balzli in der Neuen Zürcher Zeitung. Er beschließt seinen Beitrag folgendermaßen:

"Hinter jeder Disruption herrscht Dunkelheit. Maschinen machen Genies leistungsfähiger und dem Mittelmass den Garaus. Der Abgang der Boomer hinterlässt Lücken, dämpft den Absturz nur. Der empathiebefreite Volkswirt nennt es Sockelarbeitslosigkeit. Die KI besorgt künftig nicht demselben Menschen einen Job, dem sie ihn zuvor genommen hat. Die Mittelschicht findet sich im Abklingbecken der Transformation wieder: Mittelmanager, Marketingplaner . . . oder wie die Dinosaurier einer bald untergegangenen Arbeitswelt alle heissen."

Ein Szenario, das in der BGE-Diskussion immer wieder beschworen wurde, wenn auch unter wechselnden Schlagworten: Ende der Arbeit, Digitalisierung und jetzt Künstliche Intelligenz. Ob es nun eintreffen wird, wird sich zeigen. Auch früher schon war es verkürzt, ein BGE vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktentwicklung für notwendig zu erachten, damit geriet aus dem Blick, worum es im Zentrum gehen müsste: die Selbstbestimmungmöglichkeiten in einem Gemeinwesen, die Eröffnung von Gestaltungsfreiräumen - letztlich die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen in der politischen Ordnung.

"Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens beobachten die Entwicklung genau. Trotz Niederlagen an der Urne kommt das Konzept irgendwann zurück. Verlockender und unbezahlbarer denn je, trifft es dann auf eine gewandelte Schweiz, in der die Eigenverantwortung erodiert. Die Politik tut gut daran, sich bereits heute darauf vorzubereiten – mit einer intelligenten Antwort. Ahornsirup für alle ist keine Lösung."

Man könnte auch sagen, der Autor hat genau diese Dimension eines BGE, in der es um Demokratie und Bürger geht, nicht im Auge.

Sascha Liebermann





12. März 2024

"Der Sozialstaat ist ein Argument für Deutschland"...

 ...Interview mit Johannes Geyer auf Spiegel Online. Gegen Ende entgegnet er auf einen nicht treffenden Vergleich:

"Diese Analogie zur Klimawissenschaft, in der ein System in einen Zustand wechselt, aus dem es kein Zurück gibt, ist Unsinn. Wegen der Abgaben verlassen wohl nur sehr wenige Hochqualifizierte, die überall arbeiten können, das Land. Ein Treiber großer Migrationsbewegungen sind sie nicht, zumal auch andere Industriestaaten überaltern. Nicht zuletzt ist der Sozialstaat selbst ein Argument für Deutschland. Er kostet nicht nur, sondern leistet auch – und er stützt eine friedliche und sichere Gesellschaft."

8. März 2024

Freude bei den Empfängern des sogenannen Bürgergeldes…

 …dürfte bald aufkommen angesichts der Einigung der Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten darüber, dass "Produkte vom Markt verbannt und an den Grenzen beschlagnahmt werden sollen, wenn festgestellt wurde, dass Zwangsarbeit eingesetzt wurde." (dpa – zit. n. Hellweger Anzeiger vom 6. März 2024, S. 6) Warum? Laut dem Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit der International Labour Organization von 1930, Art. 2, Abs. 1, das am 1. Mai 1932 in Kraft trat, gilt als "'Zwangs- oder Pflichtarbeit' im Sinne dieses Übereinkommens […] jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat." (Deutschland hat dies ratifizierts. auch hier) – Also müssen Produkte, die aus Arbeit hervorgehen, die Empfänger von Sozialleistungen unfreiwillig ausüben und nur, um Sanktionen zu entgehen, "vom Markt verbannt werden". – Welcher Unternehmer will das Risiko schon eingehen?

Thomas Loer

7. März 2024

"Das Bürgergeld ist [sic] als Kündigungsgrund? Das geben die Daten nicht her, aber die Erzählung hat sich verselbstständigt"...

...schreibt Stefan Sell zur den Auseinandersetzungen der letzten Monate. Er beschließt seinen Beitrag mit folgenden Worten:

"Aber das mit den Kündigungen wegen Bürgergeld ist schlichtweg unter der Rubrik Stimmungsmache abzuheften. Allerdings muss man zur Kenntnis nehmen, dass die monatelange Debatte, dass sich Erwerbsarbeit angeblich oder in bestimmten Konstellationen aufgrund komplizierter Anrechungs- und Wegfallregelungen bei anderen Leistungen auch tatsächlich nur begrenzt lohnen würde, mittlerweile tief verankert wurde bei einer Mehrheit der Bevölkerung, nach Umfragen gehen 75 Prozent der Menschen davon aus, dass das so ist. Da kann man noch so viele Gegenrechnungen machen. Oder auf die Daten verweisen. Das Bild von denen, die ihren Job hinschmeißen und es sich mit dem Regelsatz aus dem Grundsicherungssystem auf dem heimischen Sofa bequem machen, hat sich verselbstständigt. Und wird nicht wieder verschwinden."

Sascha Liebermann

"Druck beim Bürgergeld bringt gar nichts"...

 ...sagte der Personalchef der Arbeitsagentur Nord, Markus Biercher, dem NDR in einem Gespräch.

Seit über dreißig Jahren arbeitet Biercher in diesem Bereich und verweist auf die Erfahrung, die mit "Druck und Zwang" gemacht wurden. Arbeitslosigkeit werde als "Drama" erlebt in der Regel. Was manches Mal als Unwille erscheine, habe häufig ernsthafte Gründe, von "Arbeitsverweigerung" kann genau betrachtet nicht die Rede sein. Interessant auch, was er zur Bezahlkarte und zum Bürgergeld sagt. Die mediale Skandalisierung entspreche nicht der Realität.

Überraschend ist diese Einschätzung nicht, wenn man sich die empirischen Zusammenhänge genauer anschaut, aber auch aus Arbeitsagenturen hört man manchmal andere Stimmen als diese.

Sascha Liebermann

23. Februar 2024

Bürgergeld und Klassenfahrt

22. Februar 2024

"Lohnt sich Arbeit" - interaktiver Sozialrechner...

..., aber leider doch wieder die Verkürzung der Frage auf Einkommen. Der "Sozialrechner" macht damit zwar auf ein Problem aufmerksam, das gerade die "Lohnt sich nicht"-Fraktion erschüttern müsste, die in den letzten Monaten sich nicht scheute, alle möglichen Gerüchte zum Bürgergeld zu verbreiten. Unter den Tisch fällt bei dieser Zuspitzung jedoch, welche nicht minder wichtige, vielleicht sogar relativ wichtigere Bedeutung Erwerbsarbeit auch heute schon hat.

Sascha Liebermann 

Jenseits der Bedürftigkeitsprüfung

Siehe dazu auch "Über Bedarfe und Bedürftigkeit"

20. Februar 2024

"Leistung lohnt sich nicht", aber anders als gedacht

Diagramm zur Haushaltskasse und deren Zusammensetzung. 

Dazu gab es schon einmal einen instruktiven Thread bei Twitter von Sozi Simon gegeben, auf den wir hingewiesen hatten (siehe hier). Der Autor hat sich wiederholt die Mühe gemacht, Vorurteilen in der öffentlichen Debatte nachzugehen und dies an Beispielrechnungen zu verdeutlichen. Auch Johannes Steffen hatte sich im Portal Sozialpolitik damit schon befasst. Aktuell sind diese Berechnungen noch immer, nun hat sich auch der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, dazu geäußert, siehe hier.

Was bei diesen Berechnungen außen vor bleibt, ist immer die Frage, welche Bedeutung Erwerbstätigkeit inhaltlich für jemanden hat, da es ja in den Beispielen nur um die Einkommenssituation geht. Erwerbstätigkeit eröffnet Erfahrungsmöglichkeiten, kann erfüllend sein usw. Außerdem wird unterstellt, dass überhaupt der Einzelne seine Entscheidungen trifft, nachdem er eine Berechnung dieser Art durchgeführt hat. So wichtig es also ist, die Zusammenhänge von Lohn, Sozialleistungen, Sozialabgaben, Steuern usw. zu verstehen, so wenig bilden sie ab, entlang welcher Überzeugungen, Menschen ihre Entscheidungen treffen. Das sollte dabei nicht vergessen werden.

Sascha Liebermann

19. Februar 2024

Unbezahlte und bezahlte Tätigkeiten - Abgrenzung und Fallstricke

Auf diese Schwierigkeit der Abgrenzung ist schon von verschiedener Seite zu Recht hingewiesen worden, sehr differenziert z. B. von Norbert Schwarz und Florian Schwahn. Zwar ist es nachvollziehbar, wenn dennoch versucht wird, den Umfang "unbezahlter Arbeit" zu quantifizieren, gerade wenn man auf ihre Bedeutung hinweisen will, man begibt sich aber auch in ein schwieriges Fahrwasser. Das zur Abgrenzung bemühte Drittperson-Kriterium muss vom konkreten Beziehungsgefüge abstrahieren, soweit es möglich ist und damit genau eine entscheidende Dimension vernachlässigen, und zwar die zwischen Beziehungen, die sich auf die ganze Person als solche beziehen und solchen, die klienten- bzw. kundenorientierten Charakters sind. In ersteren sind die Personen nicht austauschbar, in letzteren schon. Setzt man beide Beziehungstypen gleich, ebnet man den grundlegenden Unterschied beider ein. Genau das ist in den vergangenen Jahrzehnten besonders in der Frage zu beobachten, wie sich inner- und außerhäusliche Betreuung von Kindern zueinander verhalten. Letztere konnte mit der Abstrahierung von der konkreten Beziehung forciert werden.

Siehe zu dieser Frage diesen Beitrag und hier.

Sascha Liebermann


Jobgarantie und Bedingungsloses Grundeinkommen

In der aktuellen Ausgabe von Makroskop finden sich drei Beiträge zur Jobgarantie, einer davon stellt Jobgarantie und BGE (Bezahlschranke) gegenüber und zieht erstere vor.  Da es immer wieder einmal die Frage gibt, wie sich Jobgarantie und BGE zueinander verhalten, verweisen wir auf die bislang von uns dazu verfassten Beiträge hier.

11. Februar 2024

Bürgergeldbescheide

6. Februar 2024

Sanktionen und ihre Folgen

5. Februar 2024

"Totalverweigerer"? Gibt es sie, was weiß man darüber?

Dieses Schlagwort spielte in den letzten Monaten eine große Rolle, "Totalverweigerer" sollten durch das Bürgergeld nicht weiter geschützt werden, deswegen müssten Sanktionen wieder verschärft werden usw.

In folgenden Berichten werden Experten zitiert, deren Auskünfte klingen sogleich anders und passen nicht in die aufgeregte Debatte:

Stefan Sell zur Einschätzung des IAB

Stefan Sell zu den behaupteten Einsparmöglichkeiten (siehe Grafiken unten)

Auf Experten des IAB beziehen sich auch folgende Meldungen:

Münchner Merkur 

Focus online

Tagesschau

Zuerst einmal wäre zu fragen, was hinter dem Schlagwort steckt? 

Abgesehen davon, dass die Angaben in der Grafik viel niedriger sind, als die Gerüchte in der öffentlichen Debatte erwarten lassen, erfährt man nicht, was zur Verweigerung führt bzw. was hinter ihr steckt. Im oben verlinkten Beitrag von Stefan Sell erhält man zumindest Hinweise, denn in der Grafik sind bei der Säule "Weigerung" noch andere Fälle aufgeführt, die tatsächliche Weigerung fällt also noch geringer aus (diese Debatte gab es schon einmal, als das alte Arbeitlosengeld II noch galt, siehe hier und hier).

Hinter der Verweigerung könnte stehen, dass dieses Ziel für die hier genannten Fälle ganz oder teilweise unrealistisch ist (siehe hier), es für die Verweigerung gute Gründe gibt. Auch hängt es vom Ziel ab, worüber wir hier sprechen, denn gäbe es das Ziel nicht, gäbe es auch den Tatbestand der Weigerung in dem genannten Sinne nicht. Folgerichtig müsste man auch fragen, welche Probleme erzeugt die Art der Grundsicherung, welche wären mit einer anderen Form vermeidbar? Ein bloßes Beharren darauf, dass Weigerung nicht sein dürfe, führt nicht weiter und ist schon gar keine Antwort darauf, dass das Existenzminimum nicht antastbar sein soll. Ganz abgesehen davon wäre die Folgefrage, wem damit geholfen wäre, wenn denn sogenannte Verweigerer per Androhung eine Tätigkeit aufnehmen, die sie nicht aufnehmen wollen, mit der sie sich nicht verbinden können (auch dazu gibt es Befunde des IAB, negative Folgewirkungen von Sanktionen genannt)? Die Arbeitergeber, die hier durchaus scharfe Töne anschlagen, müssen sich ernsthaft fragen, inwiefern ihnen mit Mitarbeitern gedient wäre, die nicht bei ihnen arbeiten wollen?

Sascha Liebermann

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