25. April 2010

"Die Furcht vor der Freiheit - überfordert das Grundeinkommen den Menschen?"

Unter diesem Titel fand das jüngste "Philosophische Quartett" zum Grundeinkommen im Literarischen Salon, Berlin, statt. Moderation: Dorothee Schulte-Basta & Robert Ulmer,Gäste: Matthias Möhring-Hesse & Götz W. Werner.

Folgt man den Ausführungen der Diskutanten scheinen große Gemeinsamkeiten zwischen Götz W. Werner und Matthias Möhring-Hesse darin zu bestehen, dass es eine Grundabsicherung geben soll, die nicht mehr so repressiv ist wie die bestehende, auch wenn dies bei Möhring-Hesse nicht zum Grundeinkommen führt. Man beachte genau, wie er gegen ein Grundeinkommen argumentiert. Was emanzipatorisch klingt, weil er die Elite kritisiert und sie für die Verschärfung der Bezugsbedingungen von Sozialleistungen ausschließlich verantwortlich macht, bedeutet zugleich eine Entmündigung der Bürger. Wie das? Wenn die Elite oder anders gesprochen "die da oben" verantwortlich sind, dann sind es "die da unten" nicht. Was so erscheint, als nehme er die Bürger in Schutz, unterstellt, sie seien in der Mehrheit anderer Auffassung als die Elite in Sachen Repression. Das ist eine steile Behauptung. Wer regelmäßig Grundeinkommensveranstaltungen besucht oder für die Idee wirbt, macht selbst dort andere Erfahrungen. Es werden wohl die Repressionen gegen einen selbst beklagt, deswegen gesteht man "den anderen" aber nicht ohne weiteres zu, genauso selbstbestimmt leben zu können (eindrucksvoll auch in dem Film "Designing Society" zu sehen). "Hartz IV" hatte breiten Rückhalt und hat ihn noch.

Weshalb ist eine solche Haltung nun entmündigend? Indem man sich schützend vor jemanden stellt, meint man ihn schützen zu müssen, ohne dass er selbst darüber befinden kann. Weil "die da oben" machen, was sie wollen, und unseren guten alten Sozialstaat demontiert haben, können wir ihnen nicht mehr trauen. Folglich müssen wir, gäben wir ihnen durch ein Grundeinkommen die Gelegenheit, befürchten, dass sie es nur zu weiterem Sozialabbau nutzten. Genau aus diesem Grund, Möhring-Hesse sagt das ausdrücklich, ist er auch gegen ein Grundeinkommen. Diese Form der emanzipatorische Bevormundung ist viel schwieriger zu erkennen als das einfache und direkte: Die anderen hängen nur faul herum.

Was bedeutet eine solche Haltung für unsere Demokratie und den ihr Lebensquell ausmachenden öffentlichen Streit? Möhring-Hesse will seine Vorstellung einer weniger repressiven Grundsicherung in verschiedenen Leistungselementen (Rente u.a.) "verstecken", dass sie nicht so auffallen und dadurch vor Anfeindung besser geschützt sind (im Video ungefähr ab Minute 31). Weniger Transparenz wäre die Folge, wodurch öffentliche Diskussionen erschwert würden. Sich eine Meinung zu bilden und einen Vorschlag zu unterstützen wären ungemein erschwert, wenn nicht gar unerwünscht. Bevormundenden Schutz statt Transparenz also?

Wer so argumentiert, hält er die Bürger für zu schwach, für unmündig, und will sie deswegen vor sich selbst schützen. Selbst aber wenn sie letztlich für die Abschaffung aller Sozialleistungen stimmen würden (das fordert bislang keine Partei), was dann? Immerhin wäre das ein klares Votum des Souveräns. Käme es zu einem solchen Votum, dann hätten wir dieselbe Situation wie in der Schweiz nach der Abstimmung über das Minarettverbot. Auf dieser Basis lässt sich dann gut darüber öffentlich streiten, ob man an dieser Entscheidung wirklich festhalten will. Eine solche Entscheidung per Volksabstimmung z.B. ist auf jeden Fall eine bessere Grundlage als die nichtsnutzigen Meinungsumfragen, auf die sich meist bezogen wird, die aber überhaupt keine Entscheidung repräsentieren. Bestenfalls bilden sie "Was wäre wenn-Situationen" ab, ohne etwas darüber zu sagen, wie die Befragten sich in einer Situation tatsächlich entscheiden würden.

Sascha Liebermann