19. August 2010

"Vielen Akademikern droht Altersarmut" - von Sonntagsreden zur Realität

Unter diesem Titel berichtet der Focus über die Rentenaussichten von Hochschulabsolventen. Der Artikel widerspricht der verbreiteten Einschätzung, Bildungsabschlüsse schützten vor Altersarmut. Vor allem jüngere Absolventen trifft die Rentenpolitik der vergangenen Jahre besonders hart. Nur Bruchteile der Studienzeit werden anerkannt, was angesichts eines Rentensystems, das sich in der Ermittlung der Rente an Beitragsjahren orientiert, besonders folgenreich ist. Hinzukommt die schwierige Lage am Arbeitsmarkt insbesondere innerhalb der Hochschulen und Universitäten.

Im Mittelbau gibt es beinahe nur befristete Beschäftigungsverhältnisse und die Aussicht, eine Professur zu erreichen, sind noch ungewisser denn zuvor. Hinzu kommen die von der Rot-Grünen Bundesregierung eingeführten Anstellungsverhinderungsgesetze wie die "12-Jahresregelung", die dafür sorgt, dass junge Wissenschaftler, ist ihre Zeit einmal abgelaufen, alsbald "verschrottet" werden müssen. Befristete Anstellungen (hierzu zählt auch die Zeit als anerkannter Doktorand einer Fakultät ohne Anstellung) sind nur für eine gewisse Zeit, insgesamt 12 bis 15 Jahre (6 Jahre vor und 6 nach der Promotion), möglich. Zwar wurde die Regelung insofern gelockert, als Anstellungen in Drittmittelprojekten (alson ich auf Haushaltsstellen) auch nach den 12 Jahren erfolgen können, doch sie hängen vom Wohlwollen der Hochschulen ab. Es handelt sich um eine "Kann"-Bestimmung.

Statistiker werden nun einwenden, relativ gesehen sei die Lage von Akademikern immer noch besser als die von Nicht-Akademikern. Nun, was nützt die statistische Wahrscheinlichkeit dem konkreten Leben, wenn es den Einzelnen trifft? Gar nichts. Sicher, eine Universitätskarriere war immer schwierig und ungewiss. Durch die genannten Regelungen wurden die Chancen unnötig beschnitten, wenn schon nicht auf einer Professur, so wenigestens auf befristeten Stellen weiter forschen und lehren zu können. Die Gewerkschaften, die in Kettenverträgen von befristeten Beschäftigungen einen Missstand erkannten und die 12-Jahresregelung unterstützten, bewiesen damit nur, von universitären Verhältnissen keine Ahnung zu haben. Auch wenn befristete Beschäftigung nicht das ist, worauf man hofft, so lange es keine Alternative gibt, ist sie besser als nichts. Die Gewerkschaften entschieden sich dafür, dem Nichts vor dem Etwas den Vorrang zu geben.

Ja, aber Drittmittelbeschäftigung ist doch zumindest eine Chance, könnte man einwenden. In der Tat, eine Chance, die ihren Preis hat. Ob beantragte Projekte bewilligt werden, ist immer ungewiss, wer Pech hat, geht mehrfach leer aus. Anträge zu verfassen, ist aufwendig, kann durchaus ein Jahr dauern. Ist ein Projekt bewilligt für 2-3 Jahre, muss nach dem ersten Jahr schon über ein neues Thema nachgedacht werden, damit rechtzeitig eine Folgeprojekt eingeworben werden kann. Während also am laufenden Projekt gearbeitet wird, muss der Antrag für das nächste verfasst werden. Da die Begutachtungsdauer um die neun Monate beträgt, sollte der Antrag am besten entsprechend noch eingereicht werden, solange eine Beschäftigung aus dem laufenden Projekt möglich ist. Und immer so weiter, so lange man aus Drittmitteln beschäftigt werden können soll. Wieviele Projekte hier alleine aus Einkommensnot erdacht, wieviele Modediskussionen aufgeworfen werden, ist leicht auszumalen. Der Preis ist also hoch, stetige Einkommensunsicherheit und ungewisse Aussichten.

Hochschulen und Universitäten haben den Nachwuchs schon lange vergessen, seine Lage bekümmert sie nicht wie auch die Honorierung von Lehraufträgen beweist. Der Glamour von Exzellenzrhetorik und "internationalem Wettbewerb" kann nur diejenigen blenden, die schon länger keine Universität mehr von innen gesehen haben. Wo Kritik geäußert wird, handelt es sich nach wie vor um Einzelphänomene. Veränderungen sind nicht ernsthaft gewollt, sonst hätten sich Professoren fakultätsübergreifend längst zusammengeschlossen, Gegenvorschläge unterbreitet und ihre Bereitschaft bekundet, die Zerstörung der Universität nicht weiter betreiben zu wollen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zwar an dieser Lage in den Hochschulen und Universitäten unmittelbar nichts ändern, mittelbar aber sehr wohl: Es würde Einkommenssicherheit sorgen. Interessante Perspektiven, denn wer würde sich noch auf Verhältnisse einlassen, die der Forschung abträglich sind? Forschen kann man auch außerhalb solcher Institutionen, solange der Zugang zu Bibliotheken garantiert ist, solange es möglich ist, sich Forschergruppen zu assoziieren. Und Studenten? Auch studieren kann man durchaus in anderen Zusammenhängen, wenngleich die Möglichkeiten, die eine Universität bieten könnte, nicht zu unterschätzen sind. Angesichts der desolaten Entwicklung würde ein bGE womöglich eine Diskussion in Gang bringen. Wie seine Einführung selbst schon Ausdruck eines Umdenkens wäre, würde es auch ein Umdenken in anderen Bereichen anstoßen können.

Sascha Liebermann