30. August 2014

29. August 2014

"Mein Grundeinkommen" - aktuelle Entwicklungen

Das Crowdfunding-Projekt von Michael Bohmeyer hat enorme Resonanz gefunden, auch in den Medien. Das zweite zu verlosende Grundeinkommen ist finanziert, ein weiteres wird angestrebt. Gegenwärtig wird darüber diskutiert, ob die Verlosung national oder international ausgerichtet sein soll - im Für und Wider vorgebrachter Überlegungen spiegelt sich der Stand der allgemeinen Grundeinkommensdiskussion gut wider. Meine Aufassung dazu, siehe hier und hier.

Dass es sich bei dem Projekt vor allem um eine Aktion zur weiteren Verbreitung der Idee handelt, wie Michael Bohmeyer selbst schreibt, sollte nicht vergessen werden, denn mit einem von einer politischen Vergemeinschaftung von Bürgern bereitgestellten BGE hat sie nichts gemein (siehe meinen Kommentar zu Feldexperimenten). Darauf weisen auch manche Kommentare zu gegenwärtigen Diskussion um die Verlosung hin.

Die Finanzierung weiterer Grundeinkommen durch eine Crowdbar anzustreben, macht diesen Punkt ebenfalls deutlich. Denn zum einen ist es nicht Aufgabe eines Unternehmens, die Mittel dafür bereitzustellen, das geschieht jedoch über eine Crowdbar. Dadurch wird das BGE zu einer Privatangelegenheit. Zum anderen sollte klar sein, dass solche Aktionen ähnlich wie Kundenbindungssysteme (Payback etc.) natürlich nur durch den Absatz, also den Endkunden, getragen werden. Er "bezahlt" es letztlich.

Sascha Liebermann

28. August 2014

Schweizer Bundesrat gegen Bedingungsloses Grundeinkommen

27. August 2014

26. August 2014

"Muss ja irgendwie gehen. Wanderarbeit in Deutschland"

Ein in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckter Beitrag macht einmal mehr deutlich, welche Alternativen ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch für strukturschwache Regionen böte. Statt tage- oder wochenlanger Abwesenheit von Familie und Freunden, wie es im Artikel beschrieben wird, schüfe ein BGE die Möglichkeit, am Wohnort zu bleiben und dort etwas auf die Beine zu stellen.

25. August 2014

20. August 2014

Da müssen sie sich dran gewöhnen, da müssen sie durch. Der Geist von Hartz IV in unerwarteten Zusammenhängen

Manchmal zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen Phänomenen, die man nicht erwartet hätte. So ist es mit der Haltung hinter diesen beiden Aussprüchen, die dem Beitrag den Titel geben. Sie zeugen davon, dass nicht Wille und Bedürfnis desjenigen Ausgangspunkt eines Handelns sind, an den sie sich richten. Vielmehr soll er sich bestimmten Verhältnissen einfügen und die auf dem Weg dorthin notwendigen Beschwernisse aushalten – das wird von ihm verlangt. Auf einen Erwachsenen angewandt würde man sich über diese Aussprüche wundern, denn er entscheidet im Rahmen der Möglichkeiten, die er hat, ob er etwas und wie tun will oder nicht. Dort, wo er Anweisungen entgegennimmt, weil das die Aufgabe auszeichnet, die zu erledigen er angestellt wurde, entscheidet er sich dafür, solche Anweisungsverhältnisse einzugehen. Erst wenn er in die Lage kommt, auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch angewiesen zu sein, auf Arbeitslosengeld I oder noch mehr im Fall von Arbeitslosengeld II, ist es mit den Entscheidungsmöglichkeiten beinahe vorbei. Denn, wer Leistungen benötigt und nicht auf sie verzichten kann, muss sich dem Regularium des Förderns und Forderns beugen. „Da muss er dann durch“, wenn er die Leistungen erhalten und behalten will. Das daran Bedrückende schwingt in der Formulierung mit, es wird herausgehoben. Durchhalten muss man dann, wenn es – aus welchen Gründen auch immer – keine Alternative gibt.

Das führt uns genau zu dem Zusammenhang, dem die zitierten Aussprüche entnommen sind Sie entstammen Situationen, in denen Erwachsene über Kinder sprachen. Sicher, es gibt immer Umstände, in denen bestimmte Dinge getan werden müssen, das gilt für das Familienleben genauso wie anderswo. Doch würde man Kindern für gewöhnlich nicht etwas abverlangen, wozu sie noch nicht in der Lage sind oder die vermeidbares Leiden mit sich bringen.

So selbstverständlich das zu sein scheint, so sehr geht es an der noch immer verbreiteten Haltung vorbei, die in Sachen Kindergartenbesuch – noch mehr gilt das für Krippen – anzutreffen ist. Für Kinder ist der Übergang aus dem vertrauten Schonraum der Familie und ihr nahestehender Verwandter und Freunde hin zum Kindergarten, in dem alles fremd ist, die Räumlichkeiten wie die Erzieher, schwierig. Ebenso fremd sind meist die anderen Kinder, der Lärmpegel, die wenige Zeit, die den Erziehern für die Bedürfnisse der einzelnen Kinder nach den heutigen Betreuungsgschlüsseln. Weil bekannt ist, wie schwierig dieser Übergang ist, sind mittlerweile Eingewöhnungsmodelle entwickelt wurdenwie das Berliner oder Münchner, um den Kindern den Übergang zu erleichtern. Die Modelle sehen in der Regel allerdings sehr kurze Zeiträume von mindestens vier bis höchstens vierzehn bzw. einundzwanzig Tagen für die „Eingewöhnung“ vor. Solche Modelle allerdings ändern nichts an den gewaltigen Verunsicherungen,, sie versuchen sie lediglich besser abzufedern.

Trotzdem, trotz der Erfahrung der Erzieher, ist es nicht so selten, dass eine Haltung des „Da müssen sie durch“ Oberhand gewinnt, die gerade nicht den Bedürfnissen der Kinder entspricht. Gefordert wird das Durchhalten, letztlich eine Art Konditionierung, es werde dann schon besser. Wir müssen uns hingegen fragen, weshalb Kinder etwas aushalten sollen, wozu sie noch nicht in der Lage sind. Wie schon der Ausdruck „Eingewöhnung“ betont, geht es vor allem um Anpassung und nicht um die Frage, ob ein Kind das schon will. Diesem Durchhaltenmüssen, damit die Anpassung gelingt, korrespondiert noch ein anderes Phänomen, eine oft geäußerte ‚Sorge’: Gebe man den Bedürfnissen der Kinder nach, wenn sie nicht im Kindergarten bleiben, sondern mit den Eltern nach Hause gehen wollen, dann wissen sie, dass sie nicht im Kindergarten bleiben müssen, wenn sie nicht wollen. Das wird dazu führen, dass sie gar nicht mehr kommen. Bloß nicht nachgeben, so ließe sich das zuspitzen. Wer einmal nachgibt, hat verloren, deswegen bedarf es: Durchhaltevermögens. Wenn hingegen Eltern sich Zeit nehmen und auf die Bedürfnisse situativ angemessen antworten, dann machen die Kinder die Erfahrung, einen verlässlichen Hafen zu haben, von dem aus sie die Welt erkunden können. Es bedarf dann keiner Durchhalteparolen, damit die Kinder im Kindergarten bleiben. Sie werden bleiben wollen, wenn sie so weit sind und sie sich dort aufgehoben fühlen. Wenn sie sich dort nie aufgehoben fühlen, dann wollen sie eben lieber zuhause bleiben.

Es ist nicht verwunderlich, dass der Anpassungswunsch und -druck mit dem Stellenwert von Erwerbstätigkeit und der gleichzeitigen Abwertung von Familie zusammenhängt. Eltern planen so selbstverständlich mit dem Anpassungserfolg, dass häufig nicht damit gerechnet wird, die Kinder könnten lieber zuhause sein wollen. Den Kindern die Zeit zu lassen, die sie brauchen, um sich auf Neues einlassen zu können, würde leichter fallen, wenn der Freiraum dafür vorhanden wäre und zugleich anerkannt wäre, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Dazu und deswegen bedarf es eines BGE.

Sascha Liebermann

18. August 2014

Ungewohnte Stimmen aus dem IZA Bonn

Im IZA Bonn, das bislang eher dafür bekannt war, den Workfare-Ansatz für den rechten Weg zu halten, gibt es seit diesem Jahr eine andere Stimme: Alexander Spermann. Kürzlich hat er sich zur Aktion von Michael Bohmeyer geäußert und plädiert darin für Feldexperimente. In dem Beitrag "Bedingungsloses Grundeinkommen: Schnapsidee oder Geniestreich?" hebt er hervor, dass ein BGE aus dem Geist der Demokratie begründet werden kann. Sein Kollege Werner Eichhorst hat hingegen ganz andere Töne z.B. hier: “Schaffen statt Schlaraffen” und auch in einer Diskussion hier: “Arbeitsleben – Was war, was bleibt”. So auch sein früherer Kollege Hilmar Schneider. Siehe seine Diskussion mit Götz W. Werner.

14. August 2014

13. August 2014

12. August 2014

11. August 2014

Statistik und das konkrete Leben...

...Einblick in diese Diskrepanz gibt ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung "Arbeitslos trotz Vollbeschäftigung". Darin wird deutlich, wie weit ökonomische Modelle und Individualsituation auseinanderklaffen. Während die einen z.B. Vollbeschäftigung unter Akademikern feiern, wüssten die anderen zu berichten, was es heißt, wenn man sich anhaltend erfolglos bewirbt. Statistische Relationen in einem Modell wie dem von Vollbeschäftigung, sagen nichts darüber aus, wie sich die Lage jeweils für einen konkreten Menschen darstellt. Statt abstrakt Modelle zu feiern, muss die Gegenwart daran gemessen werden, welche Möglichkeiten sie dem Einzelnen bietet, trotz erfolgloser Beschäftigung dennoch seinen Neigungen noch folgen zu können, ohne außen vor zu sein. Das aber wäre erst mit einem BGE möglich.

9. August 2014

"Ich bin Seelsorgerin"...

...die Schilderung dieser Erfahrung ist einem Interview mit Arfst Wagner entnommen:

"...Wagner: Eine interessante Frage. Vor einiger Zeit habe ich einfach mal ein Klofrau an einer Autobahnraststätte selbst gefragt, ob sie noch hier arbeiten würde, wenn sie ihr Leben lang jeden Monat 1000 EUR im Monat erhalten würde. Sie antwortete mit einer Gegenfrage: „Was meinen Sie denn, was ich hier mache?" Ich antwortete: „ Naja, Klos putzen". Sie lachte. „Also, heute gegen 10 Uhr huschte jemand ins Klo und kam nicht wieder raus.

Es war ein Junkie, der sich gerade einen Schuss gegeben hat. Ich öffnete die Tür von außen mit einem Spezialschlüssel, rief Polizei und Krankenwagen, päppelte ihn mit Wasser auf und redete mit ihm. Nach einer knappen Stunde war er abtransportiert." Ich dachte: okay, machst Dir jetzt mal einen Kaffee. Als ich gerade dabei war, huschte der nächste Junkie auf die Toilette. Als ich nach 20 Minuten nichts hörte, begann die Prozedur von vorne. Alles lief ab wie vorher, Polizisten waren dieselben, Krankenwagenbesatzung waren zwei andere.

Dann war es fast 13 Uhr und ich wollte Mittagessen. Habe eine kleine Kochecke. Da hörte ich jemanden auf dem Klo schluchzen. Ich rief rüber, was denn sei. Es war ein Manager, der gerade einen Anruf von seiner Frau bekommen hatte, dass sie ihn verlässt. Ich habe ihn zum Essen eingeladen und fast zwei Stunden mit ihm geredet. Danach fuhr er voller Hoffnung nach Hause." Und dann der Satz: „Ich bin Seelsorgerin!"

Ich wiederholte die Frage, ob sie mit 1000 EUR im Monat Grundeinkommen hier noch arbeiten würde und bekam eine Antwort, die noch wie ein Sahnehäubchen auf der Torte war. „Ja, selbstverständlich, aber vielleicht weniger Stunden, weil ich eine schwer kranke Mutter habe, um die ich mich endlich mal wieder kümmern möchte..."

8. August 2014

"Mein Grundeinkommen" - die Mittel für das zweite Grundeinkommen schon beinahe vorhanden

Und weiter geht es. Schon beinahe sind die Mittel für ein zweites, einjähriges Grundeinkommen vorhanden. Michael Bohmeyer hat sie per crowdfunding eingeworben - die mediale Resonanz war erheblich. Weitere 42 Tage kann gesammelt werden.

7. August 2014

Feldexperimente zur Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens – aussagekräftig oder zweifelhaft?

Eine der großen Fragen, die in der Grundeinkommensdiskussion immer wieder auftaucht, ist die nach gesicherten Erkenntnissen über die Auswirkungen eines BGE. Sie wird nicht nur von denjenigen vorgebracht, die skeptisch, aber wohlwollend der Idee gegenüberstehen. Befürworter selbst erkennen in Feldexperimenten ein Instrument, um zum einen gesicherte oder bessere Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen eines BGE zu erhalten, zum anderen Kritiker durch die Befunde doch noch für das BGE zu gewinnen. Doch, was ist von einer Erprobung zu halten, was könnte sie leisten?

Eine Erprobung, nomen est omen, kann nur in Form eines Projekts erfolgen und das wäre befristet. Sehen wir einmal von den verschiedenen Formen ab, die es annehmen könnte – als Experiment mit einer Kommune, einem Bundesland, mit Einzelpersonen verstreut über Deutschland, über zwei, fünf oder zehn Jahre –, so bleiben grundsätzliche Fragen dazu bestehen, was ein solches Experiment belegen könnte, das nicht auf anderem Wege ebenso zu erforschen wäre.

Die erste Frage wäre methodischer Natur. Ein befristetes Projekt bietet nicht die Perspektive, sich jenseits der heutigen Verpflichtungen zu fragen, wie man leben will, weil es ein Leben nach dem Projekt geben wird, das mit den alten Verpflichtungen zu Erwerbstätigkeit und Einkommenserzielung auf einen wartet. Wer seine zukünftigen Möglichkeiten nicht fahrlässig außer Acht lassen oder auf's Spiel setzen will, muss alle Entscheidungen, die er im Rahmen des Projekts trifft, stets auf ihre Auswirkungen für die Zeit danach abwägen. Je mehr Verantwortung an einer Person hängt (z.B. für eine Familie), desto weniger kann sie sich in einem Feldexperiment davon freimachen. Sie kann also nicht berufliche Weiterqualifizierung außer Acht lassen, kann sich nicht sorglos einem Ehrenamt oder der Fürsorge in der Familie widmen, kann nicht eine Stelle aufgeben, weil sie nicht abschätzen kann, wie die Arbeitsmarktlage in fünf oder zehn Jahren - nach dem Projekt - sein wird.

Nehmen wir einmal an, ein Teilnehmer könnte sich von diesen „alten“ Rechtfertigungsverhältnissen seines Lebens innerlich, subjektiv, freimachen, dann blieben sie objektiv dennoch bestehen. Denn das Gemeinwesen, dass dieses Experiment durchführt, fördert oder toleriert, würde die es betreffenden, im Projekt getroffenen Entscheidungen gemäß der „alten“ Rechtfertigungsverhältnisse, die die aktuellen und zukünftigen (nach Ende des Projekts) wären, bewerten. Dieser gemeinschaftliche Konsens prämiert ein bestimmtes Handeln, das nämlich normativ auf Erwerbstätigkeit gerichtet ist und die Nachordnung anderer Tätigkeitsformen erwartet.

Was könnte aus einem Feldexperiment über die Welt mit BGE geschlossen werden, wenn die Bedingungen des Experiments der Welt gerade in entscheidender Hinsicht nicht entsprechen? Aus einem Experiment, das eben nur eine Simulation darstellt und deswegen – anders als Alexander Spermann (hier und jüngst hier) und Johannes Terwitte hoffen – keine Aussagen über Realverhältnisse erlaubt, kann nichts gewonnen werden, das nicht mindestens genauso gut anders herauszufinden wäre, und zwar mit Methoden der fallrekonstruktiven Forschung. Es müsste nur, auf der Basis von Daten aus der Vergangenheit, das Handeln von Menschen daraufhin untersucht werden, was darin für handlungsleitende Überzeugungen zum Ausdruck kommen und wie sie sich gebildet haben. Dabei operiert die fallrekonstruktive Forschung nicht mit Annahmen, wie Terwitte meint, sie untersucht Realphänomene. Wenn diese handlungsleitenden Überzeugungen wesentlich dem entsprechen, was ein BGE erfordern würde, um zu gelingen, wäre Entscheidendes herausgefunden. Wenn sie ihm nicht entsprächen, dann würden auf diesem Wege keine hilfreichen Einsichten zu gewinnen sein. Solche Überzeugungen, Habitus und Deutungsmuster herauszupräparieren, ist eine typische Aufgabe fallrekonstruktiver Sozialforschung.

(Ganz anders als Alexander Spermann sieht sein Kollege Werner Eichhorst das BGE. Seine im Sommer 2013 veröffentlichte Stellungnahme trägt den bezeichnenden Titel "Schaffen statt Schlaraffen". Man kann sie getrost als Untergangsszenario bezeichnen, in dem auf Basis voraussetzungsvoller Annahmen skizziert wird, was passieren würde, wenn es ein BGE gäbe. Das war nicht seine erste ablehnende Stellungnahme zum BGE. Im Jahr 2005 haben er und ich im Bayern 2 Radio, Sendung Notizbuch Extra, “Arbeitsleben – Was war, was bleibt” miteinander diskutiert. Das Ergebnis war ähnlich, etwas weniger radikal vielleicht.) 

Dass die Kultur in ihrer Eigengestalt, samt Werthaltungen, Habitus und Deutungsmustern in so einem Fall immer auch rekonstruiert werden muss, um Handeln zu verstehen, ist an dem Interview mit Sabine Klocke-Daffa über das Projekt in Namibia sehr deutlich geworden. Dazu gehört der Hintergrund vor dem die Menschen dort im Rahmen des Projekts ihre Entscheidungen getroffen haben. In einem Dorf, in dem die Armut so groß, die Versorgungslage so schwierig und die Aussichten auf Besserung so schlecht sind, es also kurz gesagt nicht viel zu verlieren gibt in Hinsicht auf die Zeit nach dem Projekt, greift ein BGE viel unmittelbarer ein, als in Verhältnissen, in denen die Aussichten viel besser, die Möglichkeiten größer und die Verpflichtung, sich für diese Möglichkeiten im Rahmen des normativen Gefüges bereit zu halten – also bei uns –, bestehen.

Die zweite Frage wäre legitimatorischer Natur. Wir würde ein demokratisches Gemeinwesen es rechtfertigen wollen, etwas auszuprobieren, aus dem sich zum einen weder für die Zukunft sichere Befunde darüber erwarten ließen, wie die Menschen tatsächlich mit einem BGE umgehen würden, noch etwas herausgefunden werden könnte, das nicht ohnehin schon elementare Voraussetzung der Existenz eines solchen Gemeinwesens ist? Diese elementare Voraussetzung besteht in der gegenwärtigen politischen Ordnung Deutschlands und anderen modernen Demokratien in einem beinahe banalen, vielleicht gerade deswegen so häufig übersehenen, Zusammenhang. Wenn es im Grundgesetz heißt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe (Grundgesetz Art. 20 (2)), dann bedeutet das nichts anderes, als dass die Souveränität politischer Vergemeinschaftung in der Selbstbestimmung des Volkes liegt. Damit wird nicht behauptet, dass politische Vergemeinschaftungen ohne Rücksicht auf andere und ohne Kooperation mit anderen handeln könnten. Es wird lediglich das Zentrum dessen bestimmt, das darüber befinden muss, in welche Richtung der Weg führen soll und auf der der Basis welcher Werte das zu geschehen hat. Diese Banalität findet nicht nur in der politischen Ordnung Ausdruck, sie prägt die alltägliche, unspektakuläre Lebensführung aller Menschen, denen niemand abnimmt zu beantworten, wohin sie mit ihrem Leben wollen. Das überlässt das Gemeinwesen aus guten Gründen ihnen, weil es genau dieser Haltung bedarf, diese Frage selbst zu beantworten, um als Demokratie fortbestehen zu können. Dass dieser elementare Zusammenhang nicht allzu deutlich im deutschen Selbstverständnis – also der Deutung der eigenen Realverhältnisse – ausgeprägt ist, kann getrost als Symptom eines Problems verstanden werden. Feldexperimente würden angesichts dessen nichts anderes bedeuten, als dem Volk genau die Souveränität abzusprechen, zumindest sie anzuzweifeln - sonst müssten ihre Voraussetzungen ja nicht erprobt werden -, die ihm in der politischen Ordnung schon eingeräumt wird. Sie liefen auf eine Selbstentmündigung hinaus.

Sascha Liebermann

4. August 2014

"Kinder sind nur Wahlkampfthema"

In einem Beitrag auf Zeit Online äußert sich die Leiterin einer Berliner Kita über die Bedinungen, unter denen sie arbeiten muss, die Herauforderungen, vor denen sie täglich steht und die skandalöse Personalsituation. Wer Kinder in dem Alter hat, dem sind die Zustände vertraut. Dabei geht es nicht um fehlende Mitarbeiter, sondern um die Definition wieviele Kinder auf einen Erzieher kommen. Gegen Ende des Beitrags wirft sie Fragen auf:

"...Viel ist über die Studie zum Betreuungsgeld [siehe unseren Kommentar hier] geschrieben worden. Doch einige Fragen haben die Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund außer Acht gelassen. 
Nutzen Eltern vielleicht das Betreuungsgeld, weil ihnen die Öffnungszeiten der Kita nicht ausreichen, um wieder arbeiten gehen zu können? Weil die Kitakosten zu hoch sind? Weil sie nicht wollen, dass ihr kleines Kind in einer zu großen Kindergruppe von zu wenigen Erzieherinnen und Erziehern betreut wird? Weil die Qualität der Bildungsarbeit nicht ausreichend ist? Weil der Weg zu weit ist? Weil die Tradition des Herkunftslandes dies gebietet?
Die Frage heißt für mich nicht Betreuungsgeld oder Kita. Nur wenn das System frühkindlicher Bildung in und durch die Kita von der sogenannten Bildungsrepublik Deutschland ausreichend bundesweit einheitlich finanziert und generell gefördert wird, haben Familien eine wirkliche Wahlmöglichkeit. Und Kinder endlich die Bildungschancen, die ihnen in einem modernen Land zustehen müssen."

Im Unterschied zur Studie des DJI, auf die sie verweist, stellt sie Fragen, die in die Untresuchung hätten Eingang finden müssen.

Gegen Ende geht es dann um die "Wahlmöglichkeit", die Eltern zur Verfügung stehen sollte. Unter dem Schlagwort der "Wahlfreiheit" bestimmte es die Debatte über das Betreuungsgeld und bestimmt noch heute die Diskussion um Familie und Kinderbetreuung. Und wieder stehen die Eltern im Zentrum, denn sie sind es, die wählen können sollen. Doch die Verantwortung gegenüber den eigenen Kindern ist keine Frage der "Wahl" (siehe auch hier). Wenn es um das Wohl der Kinder gehen soll, dann müssten sie im Zentrum stehen, gerade wenn es um die Frage der Fremdbetreuung geht. Um darüber zu befinden, lässt sich ein einfaches Kriterium bestimmen: Wollen die Kinder in eine Kita bzw. einen Kindergarten oder wollen sie nicht? Und wenn sie nicht wollen, sollten sie zuhause bleiben können. Denn, welcher Erwachsene würde denn für sich gelten lassen, dass jemand anderes ihm sagt, was er zu wollen und gut zu finden habe?

Sascha Liebermann

2. August 2014

Beitrag von Sascha Liebermann in der Personalzeitung des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks

"Demokratie, Freiheit, Leistung - Aussichten eines bedingungslosen Grundeinkommens" (francais, italiano), Beitrag von Sascha Liebermann in der Personalzeitung carrefour (No. 41, Juli 2014) des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH/ Solidar (Der Titel des Beitrages wurde durch die Herausgeber geringfügig geändert und die Schreibweise Schweizer Konventionen angepasst)