31. Mai 2017

"Mensch Gottschalk" - Videoausschnitt zum Bedingungslosen Grundeinkommen


Grundeinkommen from Yorkfield on Vimeo.

Beachten Sie die Ausführungen von Sahra Wagenknecht, die im Grunde auch für ein BGE sprechen könnten (siehe auch hier).

Marc Friedrich hat sich jüngst durch widersprüchliche Äußerungen zum BGE hervorgetan. Im Interview mit der Wochenzeitung der freitag (fett gesetzt) sagte er:

"Ihre Lösung ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Früher waren Sie doch Gegner des BGE. 
Ich hatte die typischen Vorurteile, die wir in dem Buch hoffentlich gut ausgeräumt haben. Denn wenn man sich damit beschäftigt, merkt man: Wir alle bekommen jetzt schon ein Grundeinkommen, durch den Steuerfreibetrag von 8.820 Euro. Ob man das jetzt Negative Einkommenssteuer nennt wie Milton Friedman oder Grundeinkommen, das ist völlig egal."

Wie man eine Sache nennt ist das eine, ob aber dann dasselbe drinsteckt, etwas anderes (siehe meinen Kommentar zur Negativen Einkommensteuer hier).

Danach sagte er:

"Und Sie glauben, Ihr Konzept wird funktionieren?
Das weiß ich sogar. Feldversuche zum BGE haben ja gezeigt, dass es funktioniert. Oder würden Ihnen 1.ooo Euro pro Monat reichen? Der Mensch möchte weiterkommen, ein besseres Leben haben. Leute, die Drogen nehmen, kriminell sind oder gar nichts machen, die wird es immer geben. Die muss man halt mittragen. Ganz egal, in welchem System."

Bei aller Sympathie für ein BGE sind Feldversuche keine wirklichen Belege, weil sie mit einem allgemeinen BGE nicht vergleichbar sind (siehe hier und hier). Immerhin geht Friedrich von einem Wunsch oder Bedürfnis des Menschen aus, weiterkommen zu wollen. Man könnte allerdings dem entgegenhalten, dass der Wunsch, nicht immer weiterkommen zu müssen, ebenso sein Recht hätte mit einem BGE.

An einer späteren Stelle heißt es dann:

"Und die würden dann für ein Grundeinkommen sorgen. Aber wenn die Produktionsmittel in Gemeinschaftseigentum überführt würden, bräuchte man das BGE nicht mehr, oder?
Stimmt. Aber Sie vergessen den Faktor Mensch. Der Mensch ist opportunistisch, egoistisch, gierig. All diese Utopien sind immer gescheitert. Da bin ich absoluter Realist, klingt toll auf dem Papier, ist unrealistisch – auf der Bewusstseinsstufe, auf der wir heute sind."

Weshalb bräuchte man für diesen Fall ein BGE nicht mehr? Gemeineigentum beantwortet noch nicht die Frage, wie Einkommen bereitgestellt wird, vielleicht findet sich dazu im Buch eine Ausführung, die sich hier nicht erschließt. Irritierend ist, was er über den Menschen sagt, der "opportunistisch, egoistisch, gierig" sei. Was soll diese Plattitüde besagen? Wenn heute am Vorrang von Erwerbstätigkeit ebenso festgehalten wird wie an der Überzeugung, ohne Druck gehe nichts, dann hat das mit Opportunismus ebenso wenig zu tun wie mit Egoismus, mit Gier schon gar nicht. Es ist die simple Überzeugung, dass das, was so ist, das Richtige ist. Deswegen ist sie ja auch so beharrlich und genau deswegen hat es das BGE so schwer.

Sascha Liebermann

30. Mai 2017

Bedingungsloses Grundeinkommen im MDR bei "Fakt ist"


Website der Sendung
Link zum Originalvideo

Eine Diskussionsrunde, die wieder einmal die vielen Facetten eines BGE samt vieler Missverständnisse deutlich gemacht hat. Wie die heutige Macht der Sozialverwaltung z. B. im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II heruntergespielt wurde, kann einen immer von Neuem erstaunen. Wie wenig die etwaigen Folgen der die Digitalisierung sich zur Begründung für ein ein Bedingungsloses Grundeinkommen eignen und eher von einer davon eigenständigen Begründung ablenken, wurde ebenso deutlich. Andreas Hoffmann, Journalist beim stern, wies zwar auf der einen Seite zurecht daraufhin, wie oft Aussagen über mögliche Folgen technologischer Entwicklungen in der Vergangenheit fehlgingen. Zu dem Ergebnis kommt auch der Historiker Joachim Radkau in seinem Buch "Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute". Das sollte allerdings nicht dazu führen, nun die Digitalisierung abzutun in ihren Auswirkungen. Wir können über etwaige Folgen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bezüglich des Arbeitsmarkts keine sicheren Aussagen treffen. Gleichwohl ist man gut beraten, sich darüber Gedanken zu machen, wie darauf geantwortet werden könnte. Nicht von ungefähr wird die gegenwärtige Diskussion von der Frage dominiert, was denn mit den Erwerbsarbeitsplätzen werde und was nicht. Hoffmann war für diese Dynamik selbst der Beleg, wenn er sich fragte "Was macht man mit den Leuten, die nicht mitkommen?" (etwa Minute 38). Die Antwort kann eigentlich nur lauten: mit ihnen sollte gar nichts gemacht werden. Ihnen sollten die Möglichkeiten gegeben werden, selbst etwas zu unternehmen. Genau das wäre mit einem BGE der Fall.

Sascha Liebermann

29. Mai 2017

Das Bedingungslose Grundeinkommen bei Mensch Gottschalk

Das BGE ist ab Stunde 2:07.40 Gegenstand (siehe hier).

Mark Zuckerberg über Universal Basic Income

Hier die Passage, in der Zuckerberg das Universal Basic Income erwähnt:

"We should have a society that measures progress not just by economic metrics like GDP, but by how many of us have a role we find meaningful. We should explore ideas like universal basic income to give everyone a cushion to try new things. We’re going to change jobs many times, so we need affordable childcare to get to work and healthcare that isn’t tied to one company. We're all going to make mistakes, so we need a society that focuses less on locking us up or stigmatizing us. And as technology keeps changing, we need a society that focuses more on continuous education throughout our lives."

Die ganze Rede finden Sie hier.

26. Mai 2017

Ralph Boes überreicht Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht

Ralph Boes hat seine Verfassungsbeschwerde dem Bundesverfassungsgericht übergeben. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Das Grundeinkommen als Alternative" in einem Feature über "Hartz-IV-Sanktionen und ihr Nutzen"...

...von Maximilian Klein im Deutschlandfunk (zum Nachhören, zum Manuskript als PDF). Nach einer eindringlichen Schilderung dessen, was es bedeutet, im Leistungsbezug nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch zu sein, wird gegen Ende die Alternative eingeführt: das Grundeinkommen. Etwas überraschend ist dann das Schlusswort, nachdem der Autor deutlich vorgeführt hat, dass der Sozialstaat, der seine Bürger zur Arbeit erziehen will, gerade nicht funktioniert:

"Es gibt viele Ansätze um über Arbeit und das Leben von Morgen nachzudenken. Heute haben wir einen Sozialstaat, der im Minimalumfang auf seine Bürger aufpasst. Die Zustände in Deutschland sind paradiesisch im Vergleich zu den USA, Griechenland oder Ungarn. Der Sozialstaat funktioniert. Irgendwie. Aber wie gestalten wir ihn weiter?"

"...unterminiert das die Akzeptanz des Sozialstaats in der Bevölkerung"...

...so wird der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr (Universität Zürich) im Beitrag "Finnland testet bedingungsloses Grundeinkommen" von Katharina Matheis in der Wirtschaftswoche zitiert:

Die Passage lautet vollständig:

"'Es ist einfach gut, dass es nun endlich Daten darüber geben wird, wie sich ein Grundeinkommen tatsächlich auswirkt', sagt Ökonom Fehr. Er selbst gehört eher zu den Skeptikern: 'Falls so ein System flächendeckend eingeführt wird, erwarte ich, dass sich eine Subkultur bildet, die nur von Grundeinkommen und ein bisschen Schwarzarbeit leben wird. Und selbst wenn das nur ein Zehntel der Gesellschaft ist, unterminiert das die Akzeptanz des Sozialstaats in der Bevölkerung.' Arbeiten für andere – das funktioniere in westlichen Gesellschaften nur, wenn der andere eigentlich auch arbeiten will."

Dass der Feldversuch in Finnland "Daten darüber" liefere, wie sich ein Grundeinkommen "auswirkt", wie Fehr gesagt haben soll, kann ich nicht nachvollziehen. Weder handelt es sich dort um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, noch kann aus einem Feldversuch auf die Realsituation geschlossen werden, die sich ganz anders darstellen würde. Siehe meine ausführlichen Kommentare zu dieser Problematik hier und hier.

Die Subkultur, die Fehr mit der Einführung eines BGE entstehen sieht, ist keine Zukunftsmusik, es gibt sie schon heute, wenn auch unter anderen Bedingungen. Die Frage ist, aus welchen Gründen entsteht sie, was steckt dahinter? Würde ein BGE an den Entstehungsgründen etwas ändern?

Fehr Ausführungen weisen auf eine grundsätzliche Frage hin, die er offenbar in einem sehr engen Sinne beantwortet. Ein Gemeinwesen lebt in der Tat vom Engagement seiner Bürger, und zwar in allen für das Fortbestehen relevanten Bereichen. Das heißt nicht, dass dieses Engagement von jedem in allen nötig ist, aber grundsätzlich muss sich jeder die Frage stellen, wie er beitragen will zum Fortbestehen des Gemeinwesens durch "sexuelle Reproduktion", durch Erhaltung von Sittlichkeit (politische Vergemeinschaftung) und zur Bereitstellung standardisierter Problemlösungen (Güter- und Dienstleistungen). Ein Gemeinwesen muss alle drei Aufgaben bewältigen und dabei - in einer Demokratie ganz besonders - auf die Bereitschaft seiner Bürger setzen. Sollte nun eine Haltung sich breit machen, in der diese Aufgaben von einer relevanten Anzahl an Bürgern abgelehnt würde, wäre das Fortbestehen des Gemeinwesens in Frage gestellt. Was könnte dagegen getan werden? Es müsste über diesen Misstand eine öffentliche Auseinandersetzung geben. Für heute ist ein anderer Misstand viel gravierender als der von Fehr - laut Wirtschaftswoche - angeführte. Es wird der Bereich der Erstellung von Gütern und Diensten (Erwerbsarbeit) überbewertet, die anderen hingegen unterbewertet, obwohl sie unverzichtbar sind. Das BGE würde gerade das deutlich machen, dass es aller drei bedarf und keiner von vorrangiger Bedeutung ist.

Sascha Liebermann

24. Mai 2017

"Absolut verrückt" - die Süddeutsche über Guy Standing

Hier geht es zum Beitrag von Pia Ratzesberger in der Süddeutschen Zeitung. Guy Standing forscht, lehrt und engagiert sich sein den 1980er Jahren für ein Grundeinkommen

23. Mai 2017

"...ich möchte unabhängig sein"... oder: Einwände gegen ein Grundeinkommen dafür

Gegen Ende ihres Vortrags auf der re:publica sagte Bundesministerin Andrea Nahles den entscheidenden Satz, der begründen sollte, weshalb sie gegen ein BGE ist (gesamte Videoaufzeichnung, 2:06:30 bis 3:09:00):

"...ich will das nicht haben, ich will weder Geld von meinem Ehemann, ich will auch kein Geld von meinen Eltern, ich will auch kein Geld von meinem Staat, es tut mir leid, es widerstrebt mir [...] ich möchte unabhängig sein"

Sie betonte mehrfach, dass sie das so sehe und andere es anders sehen können, sie jedoch wolle ein solches BGE nicht. Was ist an der Äußerung bemerkenswert? Es ist der Widerwille gegen Abhängigkeit, der sich vorwiegend gegen Geldleistungen richtet. Wie in einer Nußschale zeigt sich eine bestimmte Weltsicht, aus der heraus bestimmte Schlußfolgerungen ganz konsequent scheinen. Ist diese Vorstellung von Unabhängigkeit nicht illusionär?

Vom Ehemann - oder andersherum gedacht von der Ehefrau oder noch weiter: vom Lebenspartner - mit dem das Leben geteilt wird, kein Geld nehmen oder haben zu wollen, ist eine sonderbare Vorstellung. Wer das Leben teilt - etwas Höheres zu teilen gibt es nicht - teilt alles. Dazu gehört das Einkommen selbstverständlich. Es herauszuhalten kommt einem Vorbehalt gleich, so als müsse man sich dagegen absichern, dass der andere einen einst über den Tisch ziehen wird. Mit diesem Vorbehalt gibt es kein vorbehaltsloses Zusammenleben, damit kein bedingungsloses Vetrauen. Das lässt sich ganz gut im Alltag beobachten, wenn Paare getrennte Kassen haben und klären müssen, wie sie mit Ausgaben umgehen, die so anfallen. Wer zahlt, wann, wieviel? Wer ist an der Reihe? Wer also die Unabhängigkeit will, die Frau Nahles herausstellt, sollte sich nicht binden, denn jeder Paarbeziehung erfordert es, sich vom anderen abhängig zu machen, teilt man nicht. Das mag anti-emanzipatorisch klingen, ist jedoch die Konsequenz daraus, das Leben teilen zu wollen. Geld, das Frau Nahles nicht haben will, steht nur stellvertretend dafür, füreinander einzustehen. Wer also das Geld nicht teilen will, will auch nicht füreinander vorbehaltlos einstehen.

Dass ein Erwachsener von seinen Eltern nur ungerne in Einkommensangelegenheiten abhängig ist, ist nachvollziehbar, da eine Ablösung von den Eltern notwendig ist, um erwachsen werden zu können. Es kommt also einem Rückschritt gleich, wenn der Umstand eintritt, von den Eltern wieder versorgt werden zu müssen (statt vom Gemeinwesen Unterstützung zu erhalten, das sind nämlich zwei sehr verschiedene Dinge). Wenn Frau Nahles nun die Abhängigkeit vom Lebenspartner in einem Atemzum mit der von den Eltern nennt, ist das erstaunlich, weil beide nicht vergleichbar sind. Die Eltern kann man sich nicht aussuchen, den Lebenspartner schon, weil man erwachsen ist.

Vom Staat als Gemeinwesen der Bürger unabhängig sein zu wollen, ist allerdings weder Zeichen dafür, erwachsen zu sein noch realistisch. Ein Gemeinwesen von Bürgern ist der Inbegriff von vollständigem Aufeinanderangewiesensein als Solidargemeinschaft, mehr Abhängigkeit geht nicht. Da ist es nur ein schöner Schein zu glauben, wer von dieser Gemeinschaft kein Geld erhalte, sei von ihr nicht abhängig.

Abgesehen davon ist Einkommen in Geldform ziemlich nutzlos, wenn dafür keine Leistungen abgerufen werden können. Geld verspricht lediglich, dass es diese Leistungen gibt, es bringt sie jedoch nicht hervor. Andrea Nahles Verständnis von Unabhängigkeit übersieht all diese Abhängigkeiten, die der Geldunabhängigkeit zugrundeliegen. Dass nun gerade eine Bundesministerin, deren Gehalt vom Steuerzahler abhängt, auf Unabhängigkeit in Geldfragen setzt, gibt der Äußerung beinahe ironischen Charakter. Aber selbst der Steuerzahler, der sich hier auf die Schulter klopfen könnte, weil er zum Steueraufkommen beiträgt, ist ja nicht unabhängig von den gemeinschaftlichen Vorleistungen, die notwendig sind, damit Wertschöpfung im engeren Wirtschaftssinne erfolgen kann. Dazu gehören nicht nur staatliche Leistungen, dazu gehören vor allem gelungene Bildungsprozesse, die ganz entscheidend durch fürsorgliche Eltern sowie Bildungseinsrichtungen ermöglicht und durch das Gemeinwesen getragen werden.

Von daher ist es widersinnig, dass Andrea Nahles zwar mehr Selbstbestimmung auch in Erwerbstätigkeit schätze, wie sie sagt, "Familienarbeit" und Ehrenamt für wichtig halte, aber gerade die Ermöglichung und Anerkennung dieser Tätigkeiten, die ein BGE schüfe, nicht haben will.

In dem Statement auf der re:publica bemängelt sie darüber hinaus, dass "pauschale monetäre Transfers" für Menschen mit Behinderungen nicht ausreichen. Ist das ein Einwand gegen das BGE? Nein, es zeigt nur, dass es über das BGE hinaus weiter bedarfsgeprüfte Leistungen geben muss, die allerdings aufgrund eines BGE ihren Charakter verändern würden. Denn die Bedarfsprüfung orientiert sich in keiner Form mehr daran, den Einkommensausfall aus Erwerbstätigkeit auszugleichen, sondern die Selbstbestimmung im Sinne von Autonomie zu unterstützen.

Dass ein BGE "Armutsprobleme" nicht "aufknacke", ist ein weiterer Einwand, den sie vorbringt, der allerdings ebenso ins Leere läuft (siehe meinen Kommentar zu Armut). Zwar ist das BGE kein Wundermittel, es verhindert weder lebensgeschichtliche Traumatisierungen noch die Folgen davon. Es trägt allerdings dazu bei, sich Hilfe verschaffen zu können, ohne dazu gleich auf eine Sozialbehörde angewiesen zu sein, z. B. wenn therapeutischer Bedarf ist. Wo Armut lediglich Ausdruck von Einkommensmangel ist, wo Menschen "ökonomisch schwach" sind, ist das BGE eine entscheidende Hilfe, ohne diese Schwäche selbst als Anlaß zu benötigen. Denn es wird bedingungslos bereitgestellt. Dort, wo andere Problemlagen der Grund für Armut sind, kann das BGE wenigstens eines erreichen: dem Einzelnen eine Basis zu verschaffen, auf der er Angebote ablehnen kann, ohne sein Auskommen zu gefährden.

Nicht nur Armutsprobleme will die Bundesministerin jedoch "aufknacken", auch familiäre Strukturen - mit welchem Recht eigentlich? Welche Staatsanmaßung über den Schutz des Kindeswohls hinaus kommt darin zum Ausdruck? Wo das Kindeswohl gefährdet ist, haben wir eine Rechtslage, die Interventionen erlaubt, das muss reichen. Diese geradezu sozialistische Vorstellung der Umbildung von Familien findet sich allerdings in vielen Programmen wieder, wie z. B. den "Frühen Hilfen", die mit einem Generalverdacht operieren, siehe hier und das Dormagener Modell. Remo Largo sprach vor kurzem davon, dass unser Vorstellung vom Leben heute planwirtschaftliche Züge habe (hier und hier).

Es darf natürlich die Forderung nach mehr Investition in Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung nicht fehlen - wer hätte heute dagegen etwas? -, allerdings muss dann gefragt werden, unter welchen Bedingungen sie angestrebt werden: zwangsverpflichtet oder freiwillig? Frau Nahles neigt zur ersten Option, die in vielen Bildungsprogrammen bis in die kulturelle Bildung hinein angelegt ist.

Zuletzt nennt sie noch einen Fall, an dem sie ins "Schwanken" geräten könnte ob möglicher Wirkungen eines BGE: die "Niedriglohnarbeit". Doch, so ihr Einwand, das sei eben nicht so, denn, wie die Minijobs zeigen, werde das "eingepreist". Eingepreist? Doch was heute als Einpreisung erscheint (sie meint vermutlich den Kombilohneffekt oder Vergleichbares), wäre mit einem BGE zu großen Teilen in die Hände der Arbeitnehmer gelegt. Wer einen Minijob ablehnen kann und dennoch ein auskömmliches Einkommen hätte durch das BGE, hat Macht. Die hat er heute nicht.

Einen Einwand antizipierend, dass die Rente doch auch eine staatliche Einkommensleistung sei, verweist sie darauf, dass dies etwas anderes sei, schließlich erwirbt man Ansprüche durch Beiträge. Ja, Ansprüche schon, aber er ermöglicht es, dass diese Ansprüche auch in Einkommen umgesetzt werden? Auf der einen Seite das Gemeinwesen, das eine solche umlagenfinanzierte Rente einrichtet, auf der anderen diejenigen, die ihren ihren Beiträgen in der Gegenwart die Renten der Gegenwart finanzieren. Und wer noch? Diejenigen, die dafür sorgen, dass es auch zukünftig Renten geben kann, weil Leistung erbracht wird, also wer? Die Familien! Die vermeintliche Unabhängigkeit, von der Frau Nahles spricht, nach der sie sich vielleicht sehnt, ist fiktiv, nicht real.

Abschließend sei noch der Gegenvorschlag zum BGE erwähnt, den Frau Nahles sich vorstellt. Sie sprach von einem "steuerfinanzierten Startguthaben für jeden Bürger ab dem 18. Lebensjahr", das "möglichst frei" nutzbar sein soll allerdings nur im Rahmen bestimmter Tätigkeiten. Einen ähnlichen Vorschlag hatte sie schon im Interview mit dem Magazin jetzt vor wenigen Monaten vorgebracht. Dort sagte sie:

"Ich würde jungen Menschen gern ein sogenanntes Startguthaben mitgeben. Das heißt: Jeder hat ein Kontingent an staatlich bezahlter Auszeit. Darauf kann man zurückgreifen, zum Beispiel um eine Weiterbildung, eine selbstbestimmte Auszeit, eine berufliche Neuorientierung oder auch eine Gründung zu stemmen. Ich will, dass wir das viel zitierte „lebenslange Lernen“ damit verankern. Um die Leute am besten gar nicht erst arbeitslos werden zu lassen. Das schafft mehr Gerechtigkeit, auch für diejenigen, denen die Eltern in schwierigen ­Berufsphasen nicht finanziell zur Seite springen können."

Würde ein solches Startguthaben in der erwähnten Höhe viel verändern? Nun, an der Erwerbszentrierung unseres Lebens, an der des Sozialstaates, würde es gar nichts ändern. Es würde an der Degradierung von unbezahlter Arbeit festhalten, Familien keinen größeren Spielraum verschaffen, Arbeitnehmer nicht stärken, die Bürger im Bann der Erwerbsnorm stehen lassen und anderes mehr. Womöglich ist dieser Vorschlag das Maximum an Liberalität, das man von jemandem erwarten kann, der so sehr auf Erwerbstätigkeit geeicht ist.

Sascha Liebermann

22. Mai 2017

Sternstunde Philosophie: Remo Largo - Welches Leben passt zu mir?


Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (siehe auch hier) wird das Bedingungslose Grundeinkommen von Remo Largo vor allem der Digitalisierung und ihrer etwaigen Folgen wegen befüwortet. Das ist etwas überraschend, diagnostiziert Largo darin selbst als gravierendes Problem der Gegenwart, dass wir Beziehungen zu wenig Raum geben. Die Verknüpfung dieser Diagnose mit dem BGE kommt jedoch im Interview der NZZ und im Gespräch in diesem Video nicht zustande, obwohl sie naheliegt, und zwar in verschiedener Hinsicht: 1) als Einkommen, das durch das Gemeinwesen eingeführt und durch Gesetzgebung geschützt wird, ist es eine ausdrückliche Solidarleistung des Gemeinwesens an seine Angehörigen, die um ihrer selbst willen und um des Gemeinwesens willen das BGE erhalten. Das ist eine elementare Anerkennung. Der Bedingungslosigkeit dieses Einkommens entspricht die bedingungslose Geltung des Status als Staatsbürger; 2) als Einkommen, das unabhängig von individuell zu erbringender Erwerbsleistung bereitgestellt wird, hebt es den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit auf und bringt dadurch zum Ausdruck, dass der Einzelne selbst entscheiden muss, wie er diese Freiräume füllt. Das schafft Raum dafür, das Wichtige und Richtige anders aufzufassen als heute, gerade auch Beziehungen zu anderen Menschen (interessant im Video etwa ab Minute 35). Wenn es ein BGE gibt, könnte auch das nachbarschaftliche Miteinander sich verändern. Im Video etwa ab Minute 44 ist besonders interessant, wie Largo den Entwicklungsprozess eines Kindes versteht. "Kinder werden erzogen über das Vorbild". Wenn sie etwas nicht machen, von dem wir meinen, es sei wichtig, dann müssen wir uns fragen, ob wir etwas erwarten, was sie nicht oder noch nicht können bzw. dies ihnen nicht gemäß ist. Diesen Blick auf manche Probleme zu richten, über die wir heute diskutieren, würde die Probleme in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Sascha Liebermann

20. Mai 2017

19. Mai 2017

Remo Largo, bekannter Forscher und Kinderarzt, unterstützt Bedingungsloses Grundeinkommen

In einem ausführlichen Interview in der Neuen Zürcher Zeitung von heute spricht sich Remo Largo, bekannter Buchautor zu Fragen rund um die Entwicklung des Kindes (siehe hier), unter dessen Leitung Langzeitstudien über Entwicklungsprozesse von Kindern am Zürcher Kinderspital durchgeführt wurden, für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Offenbar äußert er sich dazu auch in seinem neuen Buch, das in der nächsten Woche erscheinen soll. Wer Largos Untersuchungen kennt, der konnte sich schon lange fragen, wie wohl Largo aufgrund seiner Äußerungen über die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern heute zum BGE steht. Geäußert hatte er sich bislang allerdings nicht. Am Ende der Dokumentation "Faszination Entwicklung", die Monika Czernin und Aldo Gugolz vor wenigen Jahren gedreht haben, sagt Largo am Ende, dass wir uns fragen müssen, ob wir dem Geld und dem wirtschaftlichen Erfolg nachlaufen oder Beziehungen mehr Raum geben wollen. Da lag es schon auf der Hand, dass ein BGE genau diese Frage auf eine bestimmte Weise beantworten könnte. Noch im Jahr 2011, siehe meinen Kommentar hier, konnte man sich darüber wundern, wie Largo auf der einen Seite feststellt, dass Eltern zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen, auf der anderen aber für den Ausbau von Betreuungseinrichtungen plädiert, um dem Erwerbswunsch der Eltern nachzugeben. Nun hingegen scheint sich alles zusammenzufügen.

Sascha Liebermann

"Kritisches" zum Bedingungslosen Grundeinkommen auf den Nachdenkseiten

Die Nachdenkseiten haben das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen mehr oder weniger ad acta gelegt, nachdem in den vergangenen Jahren immer wieder einmal Beiträge zur Sache dort erschienen waren. Anlässlich der jüngsten Sendung von "Die Anstalt" verwiesen die Nachdenkseiten nochmals auf ihre frühreren Stellungnahmen. Einen früheren Kommentar von Sascha Liebermann zu diesen Stellungnahmen finden Sie hier.


"Vorrang für die Anständigen"....

...wer erinnert sich noch an das entsprechende Papier des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, aus dem Jahr 2005? Das bringt den Geist der geltenden Sozialpolitik, an dem sich seitdem nicht allzuviel verändert hat, gut auf den Punkt. Es ist ja sogar noch zu Verschärfungen gekommen. Ganz in diesem Geist ist auch die zynische Broschüre, mit der vor wenigen Jahren das Jobcenter im Kreis Pinneberg auf sich aufmerksam machte. Wer angesichts dieser Sozialpolitik Alternativen aufzeigen will, hat mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen eine. Die SPD hat offenbar keine, die anderen großen Parteien aber auch nicht, wenn man davon absieht, dass die Forderung nach einer Abschaffung der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II letztlich nur einlösbar ist, wenn die Erwerbsorientierung der Systeme sozialer Sicherung vollständig aufgegeben wird. Weshalb dann nicht gleich Klartext reden und ein Bedingungsloses Grundeinkommen fordern?

Sascha Liebermann

18. Mai 2017

17. Mai 2017

"Wenn ich keine Angst hätte, womit würde ich mich dann beschäftigen?" - Grundeinkommen in "Die Anstalt"

Anny Hartmann, in deren Kabarett-Programmen das Bedingungslose Grundeinkommen einen festen Platz hat, übernahm diesen Part. Hier geht es zur Sendung.

Zur Historie eines Bedingungslosen Grundeinkommens - häufige Missverständnisse

In der öffentlichen wie akademischen Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen werden immer wieder historische Verbindungslinien gesucht und hergestellt, die in die Irre führen. Das mag manchmal daran liegen, dass aus Beiträgen zitiert wird, in denen vermeintliche Vorläufer vorkommen, diese Darstellungen selbst aber nicht mehr mit den Quellen abgeglichen werden. Man vertraut eben auf andere, das ist eine manchmal hilfreiche Abkürzungsstrategie. Manchmal scheinen die Missdeutungen lediglich darauf zurückzugehen, dass zur sehr darauf geachtet wird, was "hinten 'raus kommt", also ein Mindesteinkommen, nicht aber wie dieses Mindesteinkommen bereitgestellt wird, ohne also die Bereitstellungspraxis zu betrachten (Bedarfsprüfung, Arbeitspflicht usw.). Ein solcher Fall ist z. B. Thomas Morus Utopia, wie Ronald Blaschke sehr deutlich gemacht hat. Blaschke hat sich mit weiteren Autoren befasst, wie z. B. Lady Rhys-Williams, um sie angesichts der Frage, wie sie denn nun zum BGE oder einer Vorform standen, einzuordnen (siehe hier und hier ab S. 9). Gut nachvollziehbar nutzt Blaschke dazu Originalquellen. Dass er dabei selbst manchmal eigenwillige Deutungslinien verfolgt, ist die Freiheit eines jeden Autors. Für die BGE-Diskussion ist die Darstellung hilfreich, damit nicht falsche Freunde zitiert werden.

Siehe z. B. auch:
"Speenhamland ≠ Bedingungsloses Grundeinkommen"
"Wie etwas loswerden, das man nicht haben will? Jürgen Borchert über das Bedingungslose Grundeinkommen"
"Milton Friedman, F. A. von Hayek, Negative Einkommensteuer und Bedingungsloses Grundeinkommen" (und hier)

Sascha Liebermann

16. Mai 2017

"Mama wählt nicht" - über Herablassung und gut Gemeintes

...ein Bericht darüber, weshalb ihre Mutter nicht zur Wahl gegangen ist, über Herablassung mit der über Bedürftige oder Menschen in Armut gesprochen wird, von Anna Mayr bei Spiegel Online. Diese Herablassung ist es auch, die im Zentrum der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen steht. Mit dieser Haltung wissen die einen immer, was gut für die anderen ist, statt ihnen den Freiraum zu geben, ihr Leben zu leben, siehe z. B. hier.

"Das BGE hat mit Sozialismus nichts zu tun"...

…ein Beitrag von Anabel Schunke auf der Website „Tichys Einblick“, der allerdings ein Bedingungsloses Grundeinkommen mit der Negativen Einkommensteuer gleichsetzt und damit entscheidende Differenzen übersieht. Das führt ebenso in die Irre wie die Bezugnahme auf Friedrich August von Hayek, der ein BGE befürwortet gewesen sein soll, was so nicht haltbar ist, siehe hier. Eine genauere Auseinandersetzung damit, wie Hayek sich zum Mindesteinkommen und der Bedürftigkeit geäußert hat, finden Sie hier. Da Anabel Schunke, wie so viele Autoren, auf die „Anreize“ verweist, die so wichtig seien, damit Leistung erbracht wird, sei hier auf Forschungen zum Armutsfallentheorem verwiesen. Sie machen deutlich, wie missverständlich die Rede von "Anreizen" ist und welche Vorurteile dahingehend herrschen, warum Menschen Dinge tun, die sie tun.

15. Mai 2017

Landtagswahl NRW 2017 - vorläufiges Amtliches Endergebnis

Das Bündnis Grundeinkommen hat demnach 0,1% der Stimmen auf sich versammelt, das sind 5279 Wählerstimmen. Weitere Ergebnisse hier.

"Bedingungsloses Grundeinkommen durch Kapitalbeteiligung"...

...ein Beitrag von Hans-Jörg Naumer auf Ökonomenstimme, der ziemlich missverständlich ist und deswegen womöglich vom Bedingungslosen Grundeinkommen als regelmäßigem monatlichen Einkommen sich verabschiedet.

12. Mai 2017

Aus dem Zusammenhang gerissen...

..., einfach nicht richtig zugehört oder auf Skandalisierung ausgewesen - so könnte man auch erklären, wie es zur Berichterstattung des Deutschlandfunks kam, der eine Äußerung der Bundesministerin Andrea Nahles nicht richtig wiedergegeben hatte. Vielleicht ist dem Deutschlandfunk jedoch nur schlicht die Spucke weggeblieben angesichts der zitierten These. Wer mit der öffentlichen Diskussion zum BGE vertraut ist, dem ist diese These als Einwand bekannt, der nicht selten vorgebracht wird. Genau mit dieser Haltung wurde nämlich Clemens Fuest in einem langen Spiegel-Beitrag (20/ 2016, S. 81) zitiert:
 
„Aber die Erfahrung zeigt doch, dass die Jobs, die keiner gern macht, nur dann erledigt werden, wenn auf den Leuten ein gewisser Erwerbsdruck lastet.“

Der Spiegel bezog sich auf ein Interview in Die Zeit, das sich hier findet. Man sollte nun nicht meinen, dass dies ja typisch sei für das ifo-Institut. Wer das glaubt, der schaue sich einmal diesen Beitag an "Das Grundeinkommen und die Scheißarbeit", in dem genau die Haltung zum Ausdruck kommt, über die sich nun viele erregt haben - aber an anderer Stelle. Es wäre ziemlich einfach, weitere Zitate anzuführen.

Ist nun aber die Aufregung um das falsche Zitat ganz abwegig? Wie ist Andrea Nahles Haltung, wenn es um Selbstbestimmung geht, um die ging es ihr ja auf der re:publica?

Nehmen wir einmal diese Passage aus einem Interview mit der BILD-Zeitung:

„BILD am SONNTAG: In Großbritannien gibt es eigene Mindestlöhne für Jugendliche. Braucht Deutschland das nicht auch, damit die Jugendarbeitslosigkeit nicht steigt?
NAHLES: Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen. Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Deshalb sollen Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr – bis zum Ende der Schulpflicht – vom Mindestlohn ausgenommen werden.“

Hier wird doch ziemlich deutlich, was sie mit Selbstbestimmung meint - keine Selbstbestimmung nämlich bzw. nur soweit, wie sie der Erwerbsnorm noch gemäß ist. Damit steht sie aber gar nicht allein, wie die Äußerungen von Hannelore Kraft oder Renate Künast belegen. Jüngst hatte ich erst auf eine Äußerung von Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, hingewiesen, die tief blicken lässt. Die Diskussion um kulturelle Bildung hat eine vergleichbare Ausrichtung. Wo man hinschaut - Selbstbestimmung ist immer nur Selbstbestimmung in einem engen Sinne und paternalistisch überformt.

Sascha Liebermann

11. Mai 2017

"Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich"...

...meint der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, und lässt erkennen, wofür er steht. Er stößt damit ins gleiche Horn wie sein ehemaliger Kollege Heinrich Alt Anfang Januar dieses Jahres (siehe auch hier). Scheele weist zu Beginn des Interviews, in dem er das geäußert hat, darauf hin, was es bedeutet, in "unserem Land" arbeitslos zu werden. Es komme einer Entwertung gleich. Wenig später heißt es dann aber: "Man muss es nicht als Demütigung empfinden. Wenn man arbeitslos wird, hat man Anspruch auf Sozialleistungen". Dann ist es ja nicht so schlimm, die Arbeitsstelle zu verlieren, oder doch?

Scheele trifft zwar einen wichtigen Punkt, dass nämlich Rechtsansprüche auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch heute bestehen und Bezieher tatsächlich erhobenen Hauptes diese Ansprüche geltend machen können. Doch eines sagt Scheele nicht - was es heißt, bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen, um diese Leistungen zu erhalten, zugleich Verpflichtungen einzugehen, deren Verletzung Sanktionen nach sich ziehen kann. Da ist es mit dem erhobenen Haupt schnell vorbei, wenn derjenige, der Rechtsansprüche hat, am kürzeren Hebel sitzt. Nicht von ungefähr möchten sich Anspruchsberechtigte diesem Zugriff der Behörden nicht aussetzen, rufen ihre Ansprüche also nicht ab, wie aus der Armutsforschung bekannt ist ("verdeckte Armut" und hier). Scheele färbt also in gewisser Weise schön, obwohl er wichtige Dinge über die Lage mancher Leistungsbezieher sagt, die zeigen, dass die Zentrierung unseres Sozialstaats auf Erwerbstätigkeit als höchstem Ziel Folgen hat. Genau das böte den Ansatz dafür, zu erklären, weshalb der Verlust des Arbeitsplatzes heute so folgenreich ist, weshalb er mit einer Entwertung der Person einhergeht. Es ist nicht der Verlust als solcher, sondern dass dieser Verlust normativ aufgeladen ist. Arbeitslos zu werden bedeutet, nichts zu leisten, also nichts beizutragen zum Wohlergehen des Gemeinwesens, daher die Entwertung. Daraus ließe sich nun problemlos folgern, wo angesetzt werden müsste, um diese Wirkungen der Arbeitslosigkeit aufzuheben: am normativen Status von Erwerbstätigkeit. Doch, was folgert Scheele? Beschäftigungsförderung sei nötig gerade für die, die es schwer haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren:

"Wenn sie Arbeit haben, gibt ihnen das ein Stück Würde zurück. Sie können abends stolz sein auf das, was sie getan haben. Wenn Kinder im Haushalt wohnen, ist das umso wichtiger. Und selbst für einen Stadtteil ist es doch besser, wenn die Leute zur Arbeit gehen und nicht den ganzen Tag auf der Bank sitzen."

Die Würde der Person und Arbeit stehen nicht in einem Bedingungsverhältnis. Vielmehr ist es so, dass die heutige normative Aufladung von Erwerbstätigkeit die Würde angreift, weil sie ihre bedingungslose Geltung untergräbt. Scheele spricht von daher treffend von einem "Stück Würde", das Arbeit zurückgebe, so als ließe sich Würde aufteilen, sein Lösungsvorschlag ist also ein Irrweg. Daran wird erkennbar, dass Würde im Grunde von Arbeit gar nicht abhängt. An einer Stelle geht es auch um das BGE:

Tagesspiegel: "Die Arbeitswelt wird anspruchsvoller, gleichzeitig gibt es gesellschaftliche Tätigkeiten, die brachliegen. Ist es da nicht eine charmante Idee, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen?"
Scheele: "Nein, ich bin strikt dagegen. Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich. Der Staat würde sich freikaufen von seiner Verantwortung, sich um die Arbeitslosen zu kümmern. Es mag altruistische Akademiker geben, die gerne ein Leben mit Grundeinkommen führen würden. Aber die meisten Menschen, die arbeitslos sind oder in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen stecken, wollen lieber eine ordentlich bezahlte Arbeit."

Aber warum ist die ordentlich bezahlte Arbeit so wichtig? Der Würde wegen, wäre Scheeles Antwort und dreht sich im Kreis. Mit einem BGE kauft sich "der Staat" ja gerade nicht frei von der Verantwortung für seine Bürger, er stellt sich ihr, ohne Illusionen aufzubauen. Dass über ein BGE hinaus immer noch politisch gestaltet werden muss, steht außer Frage. Gerade ein BGE würde der vielzitierten Würde der Person und zugleich noch der demokratisch verfassten Ordnung unseres Landes. Das aber scheint ein schwieriger Gedanke zu sein

Siehe frühere Kommentare von mir hier, hier, hier und hier.

Sascha Liebermann

10. Mai 2017

"Es reicht kaum zum Essen"...

...und über den Makel, arm zu sein, darüber berichtet ein Beitrag auf Zeit Online. Daran wird deutlich, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen leisten könnten. Insbesondere Alleinerziehende, vor allem Frauen, sind davon betroffen. Meist wird die Lösung im Zugang zum Arbeitsmarkt gesucht, statt darin, Entscheidungsmöglichkeiten zu schaffen. Siehe auch den Beitrag "Alleinerziehende und Armutsrisiko - ewig das alte Lied..."

Speenhamland ≠ Bedingungsloses Grundeinkommen

"Mehr als nur Umverteilung" schreibt Ayad Al-Ani auf Zeit Online, sei das Bedingungslose Grundeinkommen - dem würde ich zustimmen. Er bemüht dazu allerdings den Vergleich mit dem an den Brotpreis gekoppelten Mindesteinkommen in Speenhamland. Dieser Vergleich allerdings ist ungeeignet, denn das damals bereitgestellte Mindesteinkommen kann allenfalls mit dem Kombilohn verglichen werden, siehe hier. Und wieder einmal wird der Artikel vom Wandel der Arbeitswelt und der Digitalisierung dominiert. Weder das eine noch das andere sind Voraussetzungen für ein BGE.

Sascha Liebermann

9. Mai 2017

Grundeinkommen im österreichischen Fernsehen


Schauspielerin Ursula Strauss, Investmentbanker Gerald Hörhan, Daniel Häni und Margaretha Maleh von "Ärzte ohne Grenzen Österreich“ diskutierten bei STÖCKL im österreichischen Fernsehen über Grundeinkommen.

8. Mai 2017

"Integration in gute Arbeit ist der bessere Weg" als ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Das sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zum Tag der Arbeit Hans-Jürgen Urban (Vorstandsmitglied, IG Metall). Er äußerte sich auch zur Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung und darüber, wie wenig wir wirklich darüber wissen, was kommen wird. Der DLF-Moderator fragte ihn:

"Moritz Behrendt: Sie sprechen von höheren Löhnen. Ein anderes Instrument ist, Arbeit ganz anders zu entlohnen. Eine Möglichkeit wäre das bedingungslose Grundeinkommen, eine andere eine finanzielle Aufwertung gemeinnütziger Arbeit. Wäre das sinnvoll?"

Die Frage ist nun etwas missverständlich, weil ein BGE ja gerade keine Entlohnung von Arbeit, ganz gleich welcher Art, ist, vielmehr ermöglicht es sie. Dass gerade durch die Ermöglichung einer Entscheidung, welches Engagement für wichtig erachtet wird, ein BGE zu einer Aufwertung heute unbezahlter Arbeit führen würde, ist wiederum eine wichtige Folge. Was antwortet darauf Hans-Jürgen Urban?

"Eine Aufwertung gemeinnütziger Arbeit wäre auf jeden Fall sinnvoll, das voraussetzungslose Grundeinkommen meiner Auffassung nach nicht. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass die Debatte gegenwärtig vor allen Dingen von den Arbeitgebern losgetreten worden ist. Mal etwas polemisch, aber zugespitzt gesagt: Die könnten sich das gut vorstellen, damit den Mindestlohn zu unterlaufen, weil die Menschen ja ein Einkommen mitbringen und das von den Arbeitgebern nicht mehr gezahlt werden muss. Und wenn dann die Entlassungen ohne größere Proteste abgehen, weil die Menschen ja durch das Grundeinkommen angeblich gesichert sind, dann gefällt denen das auch. Das gefällt mir aber überhaupt nicht. Ich will auch sagen, es gibt auch emanzipatorische Vorstellungen von Grundeinkommen, aber auch da bin ich skeptisch, und auch da will ich in gebotener Kürze sagen, warum."

Zuerst einmal stellt er heraus, dass die Aufwertung gemeinnütziger Arbeit sinnvoll wäre. Doch, was genau ist "gemeinnützig"? Wie steht es um die für gewöhnlich als Privatangelegenheit (daran ändern auch Steuerentlastungen nichts) betrachtete Leistung der Familien? Ist sie gemeinnützig oder nicht (ich meine das nicht im juristischen Sinn)? Anders gefragt: Könnte ein Gemeinwesen ohne diese Leistung leben? Könnte es einen Tausch von Leistungsvermögen geben ("Arbeitsmarkt"), wenn nicht zuvor sozialisatorisch alles einigermaßen "rund" gelaufen wäre, weil verlässlich für die Kinder gesorgt wurde? Diese Leistungen gelten nicht im engeren Sinn als gemeinnützing, was dazu führt, dass sie zwar gerne in Anspruch genommen, aber nicht anerkannt und so gut es geht ermöglicht werden durch Einkommenssicherheit.

Dass die Arbeitgeber die Debatte losgetreten hätten, entspricht nicht der Entwicklung der Diskussion ums BGE, auch nicht in jüngerer Zeit, lediglich Götz W. Werner hat sich früh schon hierfür stark gemacht. Andere sind vielmehr erst später aufgesprungen, und zwar auf die ganz junge Debatte über etwaige Folgen der Digitalisierung. Selbst wenn es nun so wäre, dass die Arbeitgeber sie losgetreten hätten, folgte daraus nichts, es kommt auf die Argumente an, die vorgebracht werden. So hat z. B. Götz W. Werner stets viel breiter für das BGE argumentiert als die meisten Silicon Valley-Vertreter.

Urban trifft einen wichtigen Punkt, wenn er darauf aufmerksam machen will, welches BGE denn jeweils gemeint ist, es gibt aber eben verschiedene Vorschläge. Wenn, wie jüngst wieder zu beobachten, in den Medien ein Befürworter rauf- und runterzitiert wird, weil er gerade ein Buch dazu veröffentlicht hat, dann ist das ein Medienphänomen und bildet nicht die Diskussion in der Breite ab. Insofern ist Urban hier entweder nachlässig oder er stellt das BGE in eine Ecke, die ihm gerade passt, und zwar in die Ecke der arbeitgeberfreundlichen Maßnahme.

Die von Urban geäußerten Entwicklungen (siehe auch hier und hier), was denn die Arbeitgeber dann wohl tun werden, wenn es ein BGE gibt, sind Befürchtungen. Die kann man haben, nur, was sagen sie über das BGE? Nichts. Was die Bürger mit den durch ein BGE objektiv geschaffenen Möglichkeiten anstellen, ist doch deren "Bier", um es einmal salopp auszudrücken. Wenn sie die Freiräume nicht in ihrem Sinne nutzen würden, wäre das ihr gutes Recht, aber auch ihre Verantwortung. Ein BGE muss keineswegs die Folgen haben, die Urban skeptisch stimmen, wenn denn die Bürger sich für die Wahrung ihrer Interessen als Arbeitnehmer einsetzen. Beides, das Einmischen wie das Unterlassen, wäre legitim. Wir konnten gerade in den letzten zwanzig Jahren erfahren, was geschieht, wenn bestimmte Dinge für richtig gehalten und andere nicht und sich dagegen keine Mehrheit bildet. Deswegen haben wir die Verschärfung der Sozialpolitik erlebt - und sie ist bis heute geblieben. Wenn die Bürger sich nicht gegen solche Entwicklungen stellen oder für Alternativen werben, dann sind sie doch mit den Entwicklungen einverstanden oder nehmen sie zumindest hin. Braucht es deswegen die IG Metall, um sie zu beschützen? Das wäre anmaßend. Das BGE ist keine Weltverbesserungstheorie, es will Möglichkeiten schaffen und die Freiheit, sie so nutzen zu können, wie es für richtig gehalten wird. Das kann genauso gut heißen, die Gewerkschaften zu stärken, die aber sicher mit einem BGE nicht mehr dieselben sein werden.

Er fährt fort:

"Die Gesellschaften, in denen wir leben, werden Arbeitsgesellschaften bleiben. Und ich bin, wir sind der Auffassung, dass die Integration in gute Arbeit der bessere Weg ist – weil das kann gewollt oder ungewollt auch sehr schnell, wie das André Gorz, ein Sozialphilosoph, mal gesagt hat, zur "Schweigeprämie der Ausgegrenzten aus der Gesellschaft" werden, dieses Grundeinkommen. Und ich glaube, das wäre nicht gut. Das würde eher eine neue Spaltung in die Gesellschaft hineintragen zwischen denen, die für die ökonomische Wertschöpfung verantwortlich sind, aus der das Grundeinkommen finanziert wird, und denen, die es in Anspruch nehmen. Ich glaube, das wäre nicht der richtige Weg."

Sind wir denn überhaupt eine "Arbeitsgesellschaft" (siehe hier und hier)? Ein Blick ins Grundgesetz kann helfen, dies zu klären, die Würde des Menschen ist keine, die er durch Arbeit erhält, sie besteht einfach so. Auch ist Arbeit keine Voraussetzung dafür, Staatsbürger zu sein bzw. zu bleiben. Alle Staatsgewalt geht vom Volke (der Staatsbürger), nicht von den Erwerbstätigen aus (GG Art. 20, 2).

Sicher, ein BGE könnte in der Tat zur "Schweigeprämie" werden oder wäre es eher eine Schweigeermöglichung? Wie auch immer, wer schweigen will, kann dies mit einem BGE selbstverständlich, sollte das etwa verboten werden? Worauf will Urban hinaus? Letztlich zeigt sich hier wieder die paternalistische Bevormundung im Mantel der Fürsorge (wie auch bei Christoph Butterwegge), die für das Gute streitet und es im Zweifelsfall auch gegen diejenigen, für die gestritten wird, errungen werden soll. Das kann man manchmal durchaus auch von BGE-Befürwortern lesen, wie vor Jahren schon von Wolfgang Engler, aber auch Richard David Precht ließ das schon anklingen.

Ähnlich wie Urban argumentierte vor vielen Jahren schon die Broschüre "Bedingungsloses Grundeinkommen? Geld allein genügt nicht" (Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD, 2008). Für die Auseinandersetzung mit Gewerkschaftern siehe auch den Band "Arbeit und Freiheit im Widerspruch"

Sascha Liebermann

4. Mai 2017

"Sie wächst und wächst, "die" Beschäftigung. Aber welche eigentlich? Eine Dekomposition der Erwerbstätigenzahlen"...

...ein Beitrag von Stefan Sell auf der Website Aktuelle Sozialpolitik.

Zu diesem Thema haben auch wir wiederholt Beiträge erstellt, da nicht oft genug darauf hingewiesen werden kann, dass Statistiken nur erheben, was per Erhebungsinstrument definiert wurde.

Siehe frühere Beiträge von uns hier und hier.

3. Mai 2017

"Egal, Hauptsache irgendein Job" - aus der Welt der Arbeitsvermittlung

2. Mai 2017

"Ich finde, dass wir jedem Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen" - wie die Erweiterung des Arbeitsbegriffs zur Ausweitung von Erwerbsarbeit führt

meinte der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal in der Tiroler Tageszeitung Online. Er äußert sich in dem Interview zum gegenwärtig dominanten Verständnis von Arbeit und im Zuge dessen auch zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Auf die Frage, wie es mit Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit in Zukunft aussehen werde, sagt er:

"Uns geht die Arbeit aus?"
Mazal: Nein, wir werden nach wie vor viel Arbeit haben. Nur müssen wir umdenken, was Arbeit ist. Wenn es in Zukunft um Arbeit geht, werden wir wieder Familien- und Kulturarbeit als Arbeit definieren müssen. Wir werden künftig beispielsweise viele Menschen für die Betreuung von Kindern und die Unterstützung von Familien, in Schulen und von älteren Menschen brauchen. Die „Care-Work", die momentan vielfach unbezahlt von Frauen geleistet wird, muss als bezahlte Arbeit ausgestaltet werden. Zeigen wir, dass sie uns viel wert ist, indem wir entsprechende Löhne ermöglichen."

Auf der einen Seite fordert er damit einen erweiterten Arbeitsbegriff, der auch dasjenige als Arbeit bzw. Leistung anerkennt, was heute als unbezahlte Arbeit weitgehend verächtlich behandelt wird. Auf der anderen Seite geht es ihm aber nicht darum, diese Anerkennung durch eine Relativierung von Erwerbstätigkeit zu erreichen und durch eine andere Form des Einkommens zu ermöglichen, sondern sie zu "bezahlen" und "Löhne ermöglichen". Das führt zur Kommodifizierung von Arbeit, was die bisher unbezahlte Arbeit im Kern verändern würde. Sie würde in Erwerbsarbeit umgewandelt. Damit geht es nicht mehr um einen erweiterten Arbeitsbegriff, es geht und führt mit dieser Lösung zu einer Ausweitung von Erwerbsarbeit in Lebensbereiche hinein, die bislang frei von ihr waren. Es ist ein grundsätzlicher Unterschied, ob ich eine Tätigkeit ergreife, weil ich zu einer Person in einer bestimmten Beziehung stehe oder ob ich eine Dienstleistung anbiete bzw. ihr diene. Während erstere auf die konkrete Person gerichtet ist und von der Beziehung zu ihr getragen, ist letztere ein generalisiertes Angebot, das nicht aufgrund der Beziehung zu einer bestimmten Person bereitgestellt wird. Man kann das vergleich mit dem Unterschied zwischen Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern oder Erziehern, die sich um Kinder in einer Kita kümmern, ganz gleich, welche Kinder dort hinkommen.

Auf Mazals Ausführung folgt eine Rückfrage, in der auch das BGE eingeführt wird:

"Wer soll das bezahlen? Andere reden davon, dass es eine Art nutzlose Klasse geben wird — für diese wird man ein bedingungsloses Grundeinkommen andenken müssen. Denken Sie nicht so?
Mazal: Es ist ein Skandal, von Menschen als nutzlose Klasse zu sprechen. Es wäre eine Kapitulation der Humanität einer Gesellschaft, wenn sie das zulassen würde. Wir sollten uns bemühen, trotz Digitalisierung für alle Arbeit zu suchen, die Anerkennung und sozialen Schutz schafft. Ich finde, dass wir jedem Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen. Deshalb bin ich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es würde Menschen zwar durch Transferleistung ruhigstellen, aber keinen Selbstwert durch Anerkennung verschaffen. Hier liegt auch ein wichtiges Finanzierungspotenzial — verkürzt gesagt: Arbeitsentgelt statt Arbeitslosengeld."

Zurecht bemerkt Mazal, dass es skandalös ist, "Menschen als nutzlose Klasse" zu bezeichnen (dafür gab es vor Jahren eine Diskussion über "Überflüssige", siehe hier und hier). Denn in einer Demokratie ist kein Mensch "nutzlos" bezüglich seiner Zugehörigkeit zu ihr. Was er als Kapitulation vor der Humanität erkennt, nimmt dann die Haltung eines fürsorglichen Paternalismus an. Wenn "wir" für alle "Arbeit suchen" sollen oder gar jedem "Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen" und beides als Begründung dafür anführt, weshalb er gegen ein BGE ist, dann bestätigt er, dass er ein Jenseits der Erwerbsarbeit als legitimen Ort des Engagements gar nicht anerkennt. Die Ausweitung des Arbeitsbegriffs ist eine Ausweitung der Erwerbsarbeit, nicht aber der Ermöglichung von Engagement in den verschiedensten Tätigkeitesfeldern. Genau das aber würde ein BGE leisten können, ohne heute unbezahlte Arbeit zu kommodifizieren, also in ein Erwerbsverhältnis notwendig hineinzusaugen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht zugleich ein Bemühen darum geben kann, die Dienstleistung Pflege attraktiver zu machen. Beides gehört zusammen, doch nur das BGE würde beides gleichrangig möglich machen.

Sascha Liebermann

"Geld vom Staat für alle? - Pro & Contra"...

...eine Diskussion im Deutschlandfunk zwischen Anke Hassel (WSI, Hans Böckler Stiftung) und Michael Bohmeyer (Mein Grundeinkommen). In jüngerer Zeit haben wir Ausführungen von Anke Hassel zweimal kommentiert, siehe hier und hier.