30. Juni 2017

"...das den Leuten keinen Antrieb gibt, etwas zu tun" - Andrew McAfee über das Bedingungslose Grundeinkommen

In einem Interview für das Handelsblatt anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches, "Machine, Platform, Crowd" das er gemeinsam mit Erik Brynjolfsson verfasst hat, äußert sich Andrew McAfee an einer Stelle über das Bedingungslose Grundeinkommen (siehe auch hier):

"Handelsblatt: Kann ein bedingungsloses Grundeinkommens die negativen Effekte der Automatisierung auffangen, wie inzwischen sogar das neoliberale, leistungsorientierte Silicon Valley argumentiert?
McAfee: Die Tech-Manager, die ich kenne, nehmen die Probleme der Arbeitswelt und der überforderten verletzlichen Menschen, die sich an alle Regeln halten und dennoch ihren Lebensunterhalt nicht verdienen können, sehr ernst. Ich streite mich jedoch mit ihnen über die richtige Lösung. Ich glaube eher an Lohnzuschüsse als an das bedingungslose Grundeinkommen, das den Leuten keinen Antrieb gibt, etwas zu tun."

Eine doch erstaunliche Aussage für jemanden, der sich über die Zukunft der Arbeitswelt und die Folgen der Digitalisierung Gedanken macht. Würder McAfee etwa behaupten wollen, dass die Innovationen der vergangenen Jahrzehnte zustande gekommen sind, weil den "Leuten" ein "Antrieb" gegeben wurde - oder nicht etwa, weil sie längst einen hatten, der sich im Beruf entfalten konnte?

Sascha Liebermann

"Gottes Güter umsonst"... ohne Erwähnung des Grundeinkommens

...ein Feature von Christoph Fleischmann über Reformation und Ökonomie - und das Bedingungslose Grundeinkommen kommt nicht vor. Siehe vom selben Autor "Umverteilen mit Luther".

29. Juni 2017

Vorbereitung einer Grundeinkommenspartei in Schweden...

...das schreibt Kate McFarland für die Basic Income News, hier ein Auszug:


"Lena Stark, Vice-Chair of Unconditional Basic Income Europe (UBIE), member has founded a new political party, Basinkomstpartiet, to promote basic income in Sweden.

Basinkomstpartiet plans to develop a specific model of basic income for the country, and to run candidates for election in Sweden’s general election in September 2018.

At present, however, the party is still under development–as is the exact model of basic income that it will promote. To become an official political party, Basinkomstpartiet needs 1500 signatures; at the time of this writing, it had approximately 700. In addition to gathering signatures, Basinkomstpartiet, whose core leadership presently consists of five people, is now focused on raising funds and developing a party platform. The party is also gathering a team of researchers and academics to draft a model for its basic income proposal.

While other basic income focused political parties have been described as “single-issue” parties (such as Germany’s Bündnis Grundeinkommen, launched in October of last year), Stark rejects the label of a “single-issue political party” for Basinkomstpartiet, stressing the broad ramifications of the introduction of a basic income."

Befreiung durch Bildung oder durch "Machtumverteilung"? - zur Diskussion in der Phoenix-Runde



Das Video ist auch unter dieser Adresse zugänglich.

Am 27. Juni wurde in der Phoenix-Runde über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. 45 Minuten waren dafür vorgesehen, das ist nicht viel, aber auch nicht nichts. Mit Anke Hassel (Hertie School of Governance/ WSI Hans Böckler Stiftung) und Ulrike Herrmann (taz) waren zwei Kritikerinnen eingeladen, die sich schon öfter zur Sache geäußert haben. Daniel Häni und Michael Opielka (Ernst-Abbe-Hochschule Jena) auf der anderen Seite sind erfahrene Befürworter. Die Diskussion zeigte, dass zwischen beiden "Lagern" keine Brücken gebaut werden konnten, das hatte auch mit Werthaltungen zu tun. Frau Hassel und Frau Herrmann finden es eben falsch, Geld mit der "Gießkanne" (Herrmann") zu verteilen. Sie plädieren für eine - wie ich es nennen würde - Befreiung von oben zur Erwerbstätigkeit durch Bildung (Hassel, Herrmann), nicht aber für eine Befreiung des Individuums als Bürger eines Gemeinwesens durch "Machtumverteilung" (Häni), also eine Befreiung von unten durch Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten ohne Richtungsweisung. Während Häni und Opielka darauf hinwiesen, dass ein BGE durch Einkommenssicherheit zu einer Machtumverteilung führe, zu einer Ermächtigung, betonten Hassel und Herrmann, dass Teilhabe durch Bildung entscheidend sei. Sie stellten aber nicht die Frage, auf welcher Basis Bildungsprozesse sich am besten entfalten können, denn dann hätten sie im Grunde zum BGE gelangen müssen, wenn das Bildungswollen ernst gemeint ist. Sonst bleibt es eine Bildungsverordnung. Weil beide aber eher die Verordnungshaltung vertraten, war der Weg zueinander versperrt. Deswegen stieg wahrscheinlich keine von beiden auf den Hinweis Opielkas wie Hänis ein, dass ein Verständnis von Arbeit, das sich auf Erwerbsarbeit fokussiere, andere Tätigkeitsformen schlicht unter den Tisch fallen lasse. Hassel "glaube" daran, dass ein Arbeitgeber eben den Lohn eines Mitarbeiters, der ein BGE erhalte, kürzen würde. Dass dies nicht ohne Zustimmung des Mitarbeiters möglich ist, darauf wurde nicht eingegangen oder anders gesagt: die Machtumverteilung wurde nicht ernst genommen. Wie überhaupt der Einzelne in seinen Selbstbestimmungsfähigkeiten und in seiner tatsächlichen Selbstbestimmung, wie sie der politischen Ordnung der Demokratie zugrundeliegt, nicht ernst genommen wurde. Darauf konnte Häni noch so emphatisch hinweisen, er erreichte Hassel und Herrmann nicht. Aufregung verursachte auch das Taschenrechner-Beispiel, dass eine Familie mit zwei Kindern über ein Haushaltseinkommen von 48 Tausend Euro pro Jahr verfügen würde, wenn das BGE mit 1000 Euro angesetzt wäre. Da war offenbar auch Opielka mulmig zumute. Dabei wurde vergessen zu erwähnen, dass dieser Fall nur für einen bestimmten Zeitraum gelten würde, solange nämlich, wie die Kinder zuhause wohnen, nicht aber, wenn sie das Elternhaus verlassen haben. Und worin besteht eigentlich der Skandal dieser Höhe, wenn die mittleren Einkommen in Deutschland betrachtet werden, wie dies die Hans Böckler Stiftung einst getan hat:



Wer einen Boden einziehen will, auf dem jeder sicher stehen kann, der kommt nicht umhin, über den Bedarf von Familien zu reden, ein Bedarf an Zeit frei von anderen Verpflichtungen - und der ist hoch.

Insgesamt war die Diskussion in der Sendung etwas zu aufgeregt, so dass Argumente nicht in Ruhe vorgebracht werden konnten, vielleicht war diese Aufregung jedoch eine Reaktion darauf, wie wenig sich auf die befürwortenden Argumente eingelassen, wie sehr sie verkürzt wurden.

Sascha Liebermann

Nachtrag: Michael Opielka hat einen auch selbstkritischen Kommentar zur Diskussion veröffentlicht und weist auf die mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung hin.

"Die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens durch eine Flat Tax"...

...ein Beitrag von Georg Quaas auf Ökonomenstimme. Der Autor revidiert damit seinen Befund aus dem Jahr 2013.

28. Juni 2017

"Grundeinkommen für alle - ein Projekt in der Toskana"...

...ein Bericht im Rahmen der Sendung "Kulturzeit" auf 3sat:


"Im kleinen toskanischen Ort Mercatale di Cortona an der Grenze zu Umbrien, das seit der Stillegung des industriellen Tabakanbaus unter Arbeitslosigkeit leidet, will der Unternehmer Maurizio Sarlo aus Norditalien Abhilfe schaffen: mit einem von ihm selbst finanzierten Grundeinkommen für alle. Mit 1500 Euro soll - so betont Sarlo immer wieder - den Menschen die Würde wiedergegeben werden. Ab September 2017 rechnet man mit rund 100.000 Projektteilnehmern aus ganz Italien."

"Bedingungsloses Grundeinkommen in Schleswig-Holstein – Vor- und Nachteile"...

...listet das Satiremagazin titanic auf:

"Die Landesregierung Schleswig-Holsteins (CDU, Grüne, FDP) plant, ein bedingungsloses Grundeinkommen als Pilotprojekt einzuführen. Die Vor- und Nachteile dieser Idee auf einen Blick:

Vorteile
  • Sie bekommen 1000 Euro monatlich
  • Sie müssen sich keine Sorgen machen, wegen Mietrückstands aus der Wohnung zu fliegen
  • Sie können sich endlich eine sinnvolle Tätigkeit suchen (Fußballtrainer, Kindergärtner, Nazischlächter)
  • Sie brauchen nicht jeden Drecksjob anzunehmen
  • Der Staat spart sich milliardenhohe Ausgaben, weil alle anderen Transferzahlungen (BAföG, Kindergeld) entfallen
Nachteile
  • Sie müssen in Schleswig-Holstein leben"

27. Juni 2017

"phoenix Runde: '1000 Euro für jeden – Wie sinnvoll ist das Grundeinkommen?'"...

...am Dienstag, den 27. Juni, von 22.15 bis 23 Uhr.

Ankündigung: "Die Idee klingt geradezu revolutionär: Jeden Monat ein sicheres Grundeinkommen in Höhe des Existenzminimums – für jeden, ob mit Job oder ohne. Finnland probiert das schon aus, und auch die neue Jamaika-Koalition in Kiel will das Konzept in einem Modellversuch in Schleswig-Holstein testen. Die Schweizer dagegen haben das bedingungslose Grundeinkommen in einem Referendum abgelehnt. Und auch bei uns halten Kritiker die Idee für brandgefährlich, fürchten sogar die Abschaffung des Sozialstaats. Wie funktioniert das bedingungslose Grundeinkommen? Ist mehr Gleichheit auch gerechter? Ist das überhaupt bezahlbar?

Anke Plättner diskutiert u.a. mit: Prof. Michael Opielka (Soziologe, FH Jena)"

Philippe Van Parijs in Stanford - Vorstellung seines neuen Buches



Siehe auch den Bericht von Juliana Bidadanure mit weiteren Verweisen auf den Basic Income News.

26. Juni 2017

Grundeinkommen in Schleswig-Holstein?...

...so zumindest könnte man verstehen, worüber die dortige Regierungskoalition im Gespräch ist bzw. worüber sie diskutiert. So berichtet die shz über ein etwaiges Pilotprojekt zum "Bürgergeld" bzw. dem "bedingungslosen Grundeinkommen". Die entsprechende Passage aus dem Koalitionsvertrag war noch recht unbestimmt. Das liberale Bürgergeld laut Beschluß aus dem Jahr 2005 ist allerdings, wie der Bericht der shz zurecht schreibt, kein BGE. Siehe auch den Kommentar zum Vorhaben von Henning Baethge.

Was würde genau getestet durch ein Feldexperiment? Ja, genau, ob der Mündigkeit der Bürger, auf die unsere Demokratie seit Jahrzehnten setzt, getraut werden kann. Es läuft also auf eine Bürgermündigkeitsprüfung hinaus. Und wissenschaftlich? Aus einem solche Feldexperiment können keine Einsichten in ein allgemeines BGE gewonnen werden (siehe hier).

Sascha Liebermann

21. Juni 2017

"Kleines Plädoyer für das garantierte Grundeinkommen"...

...ein Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung von Doris Aebi. Auch hier wieder gilt vor allem die Digitalisierung und ihre etwaigen Folgen als Begründung für die Einführung. Vor einiger Zeit plädierte die Autorin schon einmal - für ein bedingtes Grundeinkommen.

"...und keiner hat mehr einen Anreiz, dafür zu sorgen, dass diese Menschen jemals aus diesem prekären Einkommenssegment entkommen..."

Ein Gespräch zwischen Anke Hassel (Hertie School of Governance/ WSI Hans Böckler Stiftung) und Thomas Straubhaar (Universität Hamburg) in der Wirtschaftswoche (siehe auch dieses Interview mit Anke Hassel) unter dem Titel "Bedingungsloses Grundeinkommen. Geld für gar nichts?". Meine früheren Kommentare zur Haltung von Anke Hassel zum BGE finden Sie hier. Zu Thomas Straubhaars Argumentation habe ich mich ebenso wiederholt geäußert, siehe hier. Es ist nicht allzulange her, dass er die Hartz-Reformen gelobt hat, siehe hier. Damals sagte Straubhaar z. B. folgendes:

"Viele Komponenten der Hartz-Gesetze haben sich als reine Luftnummern erwiesen und haben viel Geld gekostet. Aber entscheidend war der Mentalitätswechsel, der durch die kürzeren Bezugszeiten von Arbeitslosengeld befördert wurde. Dadurch stieg für viele Menschen der Druck, sich rasch nach einer neuen Arbeit umzuschauen, weil sonst sehr schnell Hartz-IV-Verhältnisse drohen."

Mit seiner Argumentation für ein BGE heute passt das überhaupt nicht mehr zusammen. Was ist denn der Erfolg einer solchen Politik des Drucks, die er mittlerweile nicht für förderlich hält? Das Gespräch stammt aus dem Jahr 2012, womöglich ist ein "Ruck" durch ihn gegangen. Und damals lagen schon lange die Befunde dazu vor, ob der Bezug von Arbeitslosengeld oder vergleichbaren Leistungen, Menschen davon abhält, den Bezug wieder zu verlassen, siehe hier.

Nun zum Gespräch mit Anke Hassel in der Wirtschaftswoche. Ob es Missverständnisse oder willentliche Entstellungen der differenzierten Argumente für ein BGE sind, dass Anke Hassel folgendes sagt?

"Hassel: Nein, denn dadurch [durch ein BGE, SL] würden ja alle sozialen Sicherungssysteme wegfallen. Das wäre ein fataler Fehler. Wir würden alles dem Einzelnen oder dem Markt überlassen, also den privaten Kranken- und Rentenversicherungen. Doch das sind keine Solidargemeinschaften. Das wäre ein Rückschritt in unserer Entwicklung des Wohlfahrtsstaates. Stattdessen hätten wir eine Gießkanne, die über alle Menschen einen gewissen Geldbetrag ausschüttet."

Straubhaar reagiert darauf und weist auf die Ineffizienz des heutigen Systems sozialer Sicherung hin, wenn es um die Einkommenssicherung geht. Der Vorwurf, es werde mit der Gießkanne Geld verteilt, kann ja gar keiner sein, weil das BGE gerade, weil es "mit der Gießkanne" auf alle verteilt wird, eine Einkommenssicherheit über die gesammte Lebensspanne verschafft. Bedarfsgeprüfte Leistungen müssen ja fortbestehen, wenn der Zweck eines BGE, die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, für alle auch erreicht werden können soll.

Oder dies:

"Hassel: Ich habe überhaupt nichts dagegen, Kapitaleinkommen höher zu besteuern. Womit ich ein Problem habe, ist die Grundannahme, dass wir Beschäftigung verlieren. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand seit 25 Jahren. Mit dem Grundeinkommen gäbe es eine Gruppe, die nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen würde. Das wäre ein Nachteil für die soziale Mobilität in diesem Land."

In der Diskussion um "das Ende der Arbeit", die in der Digitalisierungsdebatte eine Neuauflage erhält, ist es nicht weniger seriös, wenn Hassel nun der Digitalisierungseuphorie entgegenhält, das alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Dass hier so ohne Vorbehalt der Beschäftigungsstand gefeiert wird, überrascht ebenso, siehe hier. Soziale Mobilität scheint nur dann zu bestehen, wenn ein Einkommensaufstieg angestrebt wird, weshalb? Könnte diese Mobilität nicht ebenso darin bestehen, sich anderweitig zu engagieren? Diese Mobilität wäre dann nicht eine, die in Einkommen, sondern in Erfahrung gemessen wird. Und weshalb ist soziale Mobilität überhaupt ein Selbstzweck? Wir schreiben auch heute niemandem vor, dass er sozial mobil zu sein hat. Wenn er es will, ist das eine andere Sache.

Weiter sagt sie:

"Hassel: Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wenn Sie allen ein Grundeinkommen geben von einer Summe, die unter der Armutsgrenze liegt, kann jeder Arbeitgeber sagen: Du hast dein Grundeinkommen, also kannst du günstiger bei mir arbeiten. Wer heute für zwölf Euro arbeitet, würde dies künftig vielleicht noch für 4,50 Euro tun. Menschen, die unter unanständigen Bedingungen arbeiten, stünden in Konkurrenz zu Robotern. Und dass dann die Mehrheit der Betroffenen sagt: Super, dann gehe ich meinen Neigungen nach, das ist doch völlig unrealistisch."

In dieser Passage kommen mehrere Dinge zusammen. Ein zu niedriges BGE hätte in der Tat andere Auswirkungen als ein auskömmliches. Weshalb es notwendig unter der Armutsgrenze sein sollte, ist hier nicht ersichtlich. Dass, wo verhandelt werden kann, die Löhne sich entwickeln, ist unbestritten und in der Tat, kann das BGE nicht einfach "oben drauf" kommen, auch das ist richtig. Dennoch aber wäre es denkbar, dass die Einkommenssumme aus BGE und Lohn höher ausfällt als heute nur aus Lohn. Weshalb aber wäre das ein Problem, wenn der Einzelne nicht gezwungen werden könnte, Arbeitsbedingungen anzunehmen? Auch in der BGE-Welt wäre es möglich, für eine angebotene Leistung keine Nachfrage zu finden, derjenigen wäre dann lediglich nachfrage-, aber nicht BGE-los. Im Unterschied zu heute verfügte er über ein nicht-stigmatisierendes Einkommen von der Wiege bis zur Bahre. Das ist ein erheblicher Unterschied zur gegenwärtigen Lage.

Deutlich wird der Kontrast zwischen Anke Hassel und Straubhaar in der folgenden Passage:

"Hassel: Das ist eine Stilllegeprämie für alle, die in diesem Segment tätig sind. Die gehen dann vielleicht noch für drei Euro arbeiten, sind versorgt – und keiner hat mehr einen Anreiz, dafür zu sorgen, dass diese Menschen jemals aus diesem prekären Einkommenssegment entkommen. So wie es heute auch schon ist."

Sie sieht nicht, dass das BGE "diese Menschen" ja überhaupt einmal ernst nimmt und ihnen eine Basis verschafft, die nicht abhängig ist von Erwerbstätigkeit. Heute haben sie die Basis doch gerade nicht. Darauf entgegnet Straubhaar:

"Straubhaar: Wer sich weiterbilden möchte, hat erst auf Basis des Grundeinkommens alle Freiheiten dazu. Die Betroffenen bleiben nicht so wie heute aus Existenzgründen am aktuellen Job kleben, nur weil sie sich eine Auszeit für Weiterbildung nicht leisten können.

Hassel: Es gibt doch jetzt schon viele Menschen, die in vergleichbaren materiellen Verhältnissen leben. Und da lässt sich nicht feststellen, dass die viel in Weiterbildung investieren. Das ist nicht realistisch.

Straubhaar: Weil es heute gerade für Menschen mit Existenzproblemen unmöglich ist, sich ein Jahr nicht mit Einkommensfragen herumschlagen zu müssen. Sie müssen bei Hartz IV jeden Job annehmen und können nicht argumentieren, dass sie sich gerade weiterbilden."

Erstaunlich an dieser Passage ist, dass Frau Hassel die Handlungsmöglichkeiten auf Basis eines BGE gleichsetzt mit der heutigen Situation, so als kenne sie die stigmatisierenden Folgen gegenwärtiger Sozialpolitik nicht, als habe sie von der Sanktionspraxis der Jobcenter nicht gehört. Wer heute im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch ist, sieht sich einem Machtgefüge gegenüber, demgegenüber er am kürzeren Hebel sitzt. Je weniger selbstbewußt jemand ist, desto weniger ist er in der Lage, seine Interessen zu vertreten.

Sascha Liebermann

20. Juni 2017

"...grundsätzlich für..." und doch dagegen: Pfarrer Franz Meurer für ein bedingtes bedingungsloses Grundeinkommen

Dieses Ergebnis bleibt nach der Lektüre eines Interviews mit Pfarrer Meurer zurück, das domradio.de mit ihm geführt hat. Also, im Grunde ist Franz Meurer für ein BGE, aber nicht so ganz. Sehen Sie selbst.

"domradio.de: Aus christlicher Sicht gefragt: Wäre dieses bedingungslose Grundeinkommen, das jeder Bürger einfach so bekäme, gerecht?
Franz Meurer (Katholischer Priester im Kölner Stadtteil Vingst): Ja und Nein; wie immer bei der Frage der Gerechtigkeit. Denn was Gerechtigkeit ist, kriegt man kaum raus. Natürlich bin ich - wie die KAB, die Katholische Arbeiterbewegung - grundsätzlich für das Grundeinkommen. Aber: Ich sage, die Menschen müssen auch eine soziale Gegenleistung erbringen. Sie müssen sich beteiligen, zum Beispiel im Bereich der sozialen Arbeit, sei das mit 50 Stunden oder 18 Stunden.
Warum bin ich der Meinung? Wir haben hier bei uns in der Gemeinde jeden Tag Ein-Euro-Jobber oder Menschen, die Sozialstunden ableisten. Das sind sieben, acht Menschen pro Tag, manchmal mehr. Die pflanzen Blümchen, die machen die Hundetütenbehälter wieder fit und so weiter. Die wollen alle arbeiten! Das heißt, die wollen nicht einfach alimentiert werden, sondern jeder Mensch will für das Gemeinwohl etwas tun."

Gefragt wurde er nach dem BGE, er antwortet mit Zustimmung für ein Grundeinkommen mit Bedingungen, und zwar konkret müssen "die Menschen" eine soziale Gegenleistung erbringen. Das ist dann eben so etwas wie ein participation income, ein Vorschlag des Anfang des Jahres verstorbenen Anthony Atkinson, aber kein BGE. Weshalb ist Meurer der Sozialdienst wichtig, es kommt ihm offenbar nicht auf den Umfang alleine an? Er verweist auf diejenigen, die in seiner Gemeinde helfen, aber ist dieser Verweis nicht gerade ein Argument für das BGE? Er sagt doch, dass sie helfen wollen. Und weshalb sollen sie nicht selbst entscheiden, ob sie etwas als Gegenleistung erbringen, wenn sie doch ohnehin wollen? Meurer hat sehr klar die stigmatisierenden Effekte heutiger Alimentierungsleistungen vor Augen, ohne die Zusammenhänge, die zur Stigmatisierung führen, zu bedenken. Da ein BGE keine Leistung für Bedürftige wäre, kein Ersatz für fehlendes Erwerbseinkommen, könnte es auch nicht stigmatisierend wirken. Allenfalls könnte der Fall eintreten, dass sich diejenigen, die erwerbstätig sein wollen und keine Stelle finden, deswegen als minderwertig erachten. Das hätte jedoch nichts mit dem BGE zu tun, sondern mit der Bewertung von darüber hinausreichender Erwerbstätigkeit. Denn nur des Empfindens wegen Beschäftigung durch öffentliche Mittel zu schaffen, die sachlich nicht gefordert ist, würde auf eine sinnentleerte Tätigkeit hinauslaufen.

Was sagt Pfarrer Meurer noch?

"domardio.de: Sie treten für den Gedanken "Hilfe zur Selbsthilfe" ein. Entspricht so ein Grundeinkommen diesem Gedanken?
Meurer: Ja, und es entspricht nicht nur dem Gedanken "Hilfe zur Selbsthilfe" sondern bedeutet auch Selbstverpflichtung als Entgelt für eine Unterstützung. Das heißt, man würde eine Grundversorgung eintauschen gegen ein im moderaten Rahmen vorbereitetes Engagement für die Gesellschaft und die Gemeinschaft. Davon profitierten würden wir und der Einzelne."

Ja, Selbstverpflichtung, die daher erwächst, sich die Frage zu stellen, was zum Wohlergehen des Gemeinwesens beigetragen werden kann. Weshalb aber muss ein "vorbereitetes Engagement" sein? Meurer vertraut offenbar nicht darauf, dass diese Selbstverpflichtung schon besteht, dabei lässt sie sich heute leicht auffinden. Meurer ist ganz nah dran am BGE, er müsste nur die Handbremse lösen.

Sascha Liebermann

19. Juni 2017

"Was wäre, wenn wir plötzlich kein Geld mehr verdienen müssten?"...

...das Schweizer Fernsehen berichtete erneut über das Bedingungslose Grundeinkommen. Das Video ist nur auf der Schweizer Website abspielbar, deswegen haben wir den Link wieder herausgenommen. Siehe auch "Carole im Glück".

"Arbeit ist unbezahlbar" - Götz Werner bei Markus Lanz

...das sagte Götz W. Werner bei Markus Lanz über das Beindungslose Grundeinkommen. In der Sendung beginnt das Gespräch mit ab Minute 52, das BGE kommt ab Stunde 1.10,45 zur Sprache. Hier nur der Ausschnitt über das BGE bei youtube.

Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein - irgendwie auch was mit Grundeinkommen

Der entsprechende Auszug aus dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung in Schleswig-Holstein lautet:

"Wir werden daher ein Zukunftslabor mit den Akteurinnen und Akteuren der Arbeitsmarktpolitik und aus der Wissenschaft ins Leben rufen, in deren Rahmen die Umsetzbarkeit neuer Absicherungsmodelle, z.B. ein Bürgergeld, ein Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, diskutiert und bewertet werden sollen. Ebenso wichtig wie die soziale und ökonomische Flexibilisierung des Arbeitslebens soll dabei auch die Entbürokratisierung der Arbeits- und Sozialverwaltung sein. Die Ergebnisse dieses Prozesses wollen wir in die bundespolitische Debatte tragen, um unser Land fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen und um Existenzängste von den Bürgerinnen und Bürgern fern zu halten." (S. 31)


16. Juni 2017

"Die meisten..." - wieder einmal eine Meingungsumfrage...

...diesmal berichtet die Wirtschaftswoche über eine Studie von Ipsos.

Unsere Kommentare zu Meinungsumfragen und was aus ihnen geschlossen werden kann, finden Sie hier.

14. Juni 2017

Eckart von Hirschhausen zum Bedingungslosen Grundeinkommen bei "hart aber fair"

Der entsprechende Ausschnitt, in dem es um das BGE geht (ab Minute 52:43 des Videos der gesamten Sendung). Zur Website der Sendung.

Das BGE sieht Eckart von Hirschhausen im Zusammenhang mit dem Generationenvertrag. Karl Lauterbach würde statt eines BGE das dafür notwendige "Geld" lieber gezielt einsetzen, um eine "Bezahlung" für pflegende Angehörige zu erwirken. Das eine steht dem anderen nicht entgegen, wenn BGE eben als Basisleistung betrachtet wird über das hinaus es weitere bedarfsgeprüfte Leistungen auch für die Pflege geben kann. Susanne Hellermann, die auf Karl Lauterbach antwortet, hat offenbar das BGE nicht verstanden, wenn sie sagt, dass es den pflegenden Angehörigen nicht helfe und dann aber auf die Altersabsicherung zu sprechen kommt. Das will sie stattdessen kommunal lösen. das BGE wäre ja aber gerade eine solche Lösung (ohne gegen bezahlte Pflegekräfte ausgespielt werden zu müssen). Frau Hellermann weist auch auf die Kompliziertheit der Pflegeversicherung hin, die, wie im gesamten System sozialer Sicherung dazu führt, dass etwaiger Ansprüche aufgrund dieser Kompliziertheit nicht abgerufen werden.

Siehe frühere Kommentare von unserer Seite zu Pflege

Sascha Liebermann

Das Bedingungslose Grundeinkommen und Arno Dübel - wie gehört das zusammen?

Kolumnistin Zhang Danhong hat für die Deutsche Welle von einer Erfahrung berichtet, die sie im Urlaub gemacht hat. Der Titel des Beitrags mag zuerst irritieren. Worum geht es? Arno Dübel wurde in einer Maischberger-Sendung (etwa 2008) vorgestellt als "glücklicher Arbeitsloser", der sein dreißigjähriges Jubiläum feierte. Zu dem Zeitpunkt war Arno Dübel schon als Vorzeigearbeitsverweigerer durch die Medien gereicht und vorgeführt worden. Dass er an den Fernsehauftritten und der demonstrativen Erwerbsverweigerung Gefallen fand, ist ihm anzusehen in manchem Mitschnitt, der kursiert. Fast adoleszent trotzig wirkt er da. Man wüsste gerne mehr über seine Lebensgeschichte. Ich meine mich zu erinnern, dass in einer dieser Sendung er auf die Frage, was er denn so mache, erzählte, dass er seine Mutter gepflegt und sich noch anderweitig engagiert hat, nicht aber erwerbsförmig. Es ist also keineswegs so, dass er gar nichts gemacht hätte, nur zählte das nicht als Arbeit, es war eben keine Erwerbsarbeit.

Was schreibt nun Frau Danhong über Arno Dübel? Nachdem sie in Erinnerung ruft, was in den Medien verbreitet wurde, schreibt sie:

"Seitdem geht mir der glücklichste oder frechste (je nach Blickwinkel) Arbeitslose Deutschlands nicht mehr aus dem Kopf. Was macht er heute? Der letzte Bericht über ihn stammt aus dem Jahr 2015. Mit 59 Jahren wurde er bereits in einem Altenheim untergebracht. Geistige und körperliche Verödung durch Nichtstun? Natürlich ist Arno Dübel kein repräsentativer Arbeitsloser. Auf der anderen Seite ist Faulsein menschlich. Dass er die Faulheit auf die Spitze treibt und damit kokettiert, macht seinen Unterhaltungswert aus."

Alleine die Frage, ob Nichtstun zu geistiger und körperlicher Verödung führen können, ist suggestiv. Warum nicht fragen, was wohl geschehen ist, dass jemand ein solches Leben führt wie er, der sich in den Medien vorführen lässt und stets die Seite herauskehrte, sich zu verweigern?

Was macht Frau Danhong stattdessen?

"Man kann auch sagen: In jedem von uns steckt ein Arno Dübel - mal mehr, mal weniger. Wenn ich bei 34 Grad Celsius mit einem benebelten Hirn eine originelle und möglichst witzige Kolumne ausbrüten muss, frage ich mich, was Arno Dübel früher an einem solchen schwülheißen Tag wohl gemacht hat. Erst mal bis in die Puppen schlafen, dann gemächlich aufstehen, vor dem Fernseher einen Kaffee schlürfen, dann mit dem Hund spazieren gehen, möglichst im Schatten."

Sie reproduziert das Klischee des herumhängenden Arbeitslosen, der den lieben Gott einen guten Mann sein lässt. Womöglich braucht die Autorin nur einen Aufhänger für ihre Geschichte, doch hätte sie das nicht anders machen können, als mit diesem Klischee aufzuwarten? Wer weiß schon wirklich etwas über Arno Dübel jenseits seiner Mediengeschichte?

Leider geht es in dem Beitrag dann weiter im selben Duktus:

"Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich könnte nicht so leben wie Arno Dübel. Ich glaube, das können die wenigsten Chinesen. Wir sind ein emsiges Völkchen und so erzogen worden, alles zu tun, damit die Eltern, Großeltern und alle Vorfahren stolz auf uns sind und unsere Kinder zu uns hochschauen können. In unserem Leben ist eigentlich gar kein Platz für Arno Dübel. Oder doch?"

Dann wird klar, wozu das ganze dient, das BGE wird ins Gespräch gebracht:

"Ist die Idee nun wirklich so abwegig? Früher hätte ich die Frage sofort bejaht: Linke Spinnerei, als ob das Geld aus der Steckdose käme. Doch seit ich Arno Dübel kenne, bin ich mir da nicht mehr so sicher."

Wie kommt es nun zu diesem Umschwung? Was hat das noch mit Arno Dübel zu tun?

Die Autorin rechnet dann vor, dass es für Arno Dübel "gehopst wie gesprungen" gewesen wäre, ob er statt der Leistungen vom Jobcenter dann ein BGE erhalten hätte. Stimmt das? Ja, aber nur wenn ausschließlich der Geldbetrag betrachtet wird, sie veranschlagt die Kosten auf etwa 1000 Euro (ohne Ausgaben für Sozialverwaltung). Der Betrag ist dabei nicht entscheidend, es ist der Weg, wie er bereitgestellt wird. Nicht nur erspart ein BGE die Sozialverwaltung, sofern es dabei bleibt, es hebt vor allem die strukturelle Stigmatisierung der Leistungsbezieher auf. Sie müssen sich nicht mehr vor der Behörde erklären, wie sie denn zu Erwerbsarbeit stehen. Dübels adoleszent trotzige Haltung ist durchaus eine Antwort auf das beharrliche Ansinnen, er müsse doch arbeiten gehen. Die Medien sind genau auf dieser Haltung herumgeritten. Mit dem BGE hat sie jedoch nichts gemein. Es geht also nicht um den Betrag, es geht darum, wofür er steht durch die Art und Weise, wie er zuerkannt wird. Die Bedingungslosigkeit ist entscheidend, weil sie die Bürger so nimmt, wie sie sind, ganz der liberalen Demokratie gemäß, in der die Bürger als Bürger gelten, weil sie Bürger sind.

Zum Schluß des Beitrags fragt die Autorin:

"Beim letzten Punkt regen sich aber Zweifel bei mir. Ob das Grundeinkommen Kreativität freisetzt oder doch zu wenige Arbeitszeit führt, darüber streiten die Experten. Die entscheidende Frage ist, wieviel Arno Dübel in uns allen steckt?"

Nein, es hat mit Arno Dübel nichts zu tun, der hier klischeeartig als Widerpart angeführt wird. Nur in einem Sinne könnte das gelten: Arno Dübel ist, wie er ist, wie alle sind, wie sie sind. Genau darauf richtet sich das BGE, alle so sein zu lassen, wie sie sind, das macht ihre Würde aus.

Sascha Liebermann

13. Juni 2017

"Rise of the Robots" - Martin Fords Buch über Automatisierung in Auszügen online...

Wie manch andere, die sich dieser Thematik widmen, macht dieses Buch auf die entscheidende Frage aufmerksam, wie wir Arbeit verstehen wollen, ob sie einem Zweck dient oder zum Selbstzweck degenerieren soll. Wenn sie einem Zweck dienen soll, dann kann er nur darin bestehen, Problemlösungen jeglicher Art hervorzubringen. Arbeit dient dann einer Sache und damit immer dem Menschen. Diese Form der Arbeit ist unerlässlich, wenn sie erhalten werden soll, dann darf Arbeit nicht mehr Selbstzweck, Mittel der Selbstverwirklichung sein. Arbeiten würden dann wieder bedeuten, einer Sache zu dienen, ganz gleich, was ihr Inhalt ist.

Auszüge der englischen Fassung von Martin Fords Buch sind online zugänglich, siehe hier. Mehr über Martin Ford erfahren Sie hier. Die Leseprobe zur deutschen Ausgabe finden Sie hier.

Sascha Liebermann

12. Juni 2017

"The big misunderstanding..." - Karl Widerquist über OECD-Studie zum Basic Income

In einem Blogbeitrag für die Basic Income News beschäftigt sich Karl Widerquist mit den Kosten eines Universal Basic Income und missverständlichen Berechnungen dazu. Darin erwähnt er auch die kürzlich erschiene OECD-Studie. Kate McFarland greift diese Studie in ihrem Beitrag ebenfalls auf. Siehe dazu ebenso die Diskussion zwischen Enno Schmidt und Reiner Eichenberger kurz vor der Volksabstimmung in der Schweiz im vergangenen Jahr.   In ihr wird sehr deutlich, dass die Einwände Eichenbergers nicht einfach Finanzierungseinwände sind. Sie ruhen auf bestimmten Staats- und auch Gerechtigkeitsvorstellungen.

9. Juni 2017

Volksabstimmung - "das ist für uns ein normaler Vorgang wie Zähneputzen...

...ein Interview von Brigitte Krenkers mit Daniel Häni über direkte Demokratie für die Aktion "ich will abstimmen".

8. Juni 2017

7. Juni 2017

"Roboter und Automatisierung - Erwartet uns ein Leben ohne Arbeit?"...

..., auch wenn der Titel der Sendung übertrieben ist, weil er wieder nur einen bestimmten Begriff von Arbeit voraussetzt, sei dennoch auf diese Diskussion im Deutschlandfunk mit folgenden Gästen hingewiesen:
  • Dr. Alexandra Borchardt, Chefin vom Dienst Süddeutsche Zeitung
  • Dr. Florian Lehmer, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Leiter der AG Arbeit in der digitalen Welt
  • Prof. Jürgen Fleischer, Leiter des Instituts für Produktionstechnik Karlsruher Institut für Technologie KIT
  • Gerhard Wulz, Director Global Production der Division Schunk Carbon Technology
Siehe unsere Kommentare zur Diskussion über Digitalisierung.



"Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema" - eine Studie der Otto Brenner Stiftung...

...von Hans-Jürgen Arlt, Martin Kempe und Sven Osterberg. Hier geht es zur Studie. Siehe auch das Interview, das junge Welt Arlt geführt hat, da heißt es am Ende:

"Wie lautet Ihre Grundbotschaft?
Die Arbeit an der Studie hat mich darin bestärkt, dass es zwei große gesellschaftspolitische Projekte voranzutreiben gilt: das bedingungslose Grundeinkommen und eine generelle Verkürzung der Normalarbeitszeit. Dabei geht es um mehr Lebensqualität für die Bevölkerungsmehrheit, sowie auch darum, unbezahlte Arbeit für den Haushalt und die Familie in Zukunft gerecht zwischen Männern und Frauen zu verteilen."

Siehe unsere Kommentare zur Diskussion über Digitalisierung

6. Juni 2017

"Bayerische Wirtschaft strikt dagegen" und stattdessen: weiter wie bisher?

Siehe den Bericht des Bayrischen Rundfunks. Offenbar hat Michael Hüther, Direkter des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, darüber referiert. Seine Haltung zu BGE ist bekannt, siehe hier.

2. Juni 2017

"Arbeitslose - das Grundeinkommen verspricht Geld für alle" - so das Schweizer Fernsehen


...mit einem doch ziemlich missverständlichen Titel, so, als sei das BGE nur für Arbeitslose vorgesehen.

1. Juni 2017

Beschäftigungsgarantie statt Bedingungsloses Grundeinkommen...

...- dafür plädiert Henning Meyer in der Süddeutschen Zeitung. Vor nicht allzulanger Zeit hat er einen ähnlichen Beitrag bei Zeit Online veröffentlicht ("Und das soll gerecht sein").

Worum geht es? Auf Befürchtungen dazu, was die Digitalisierung für die Arbeitswelt bedeuten könne, werde das BGE als Lösung vorgeschlagen, ein schlechter Vorschlag, meint Henning Meyer. Weshalb?

"Erstens senkt das Grundeinkommen den Wert der Arbeit. Selbstverständlich ist die Generierung von Einkommen ein wichtiger Teil der Arbeitswelt, genauso wichtig sind aber auch die sozialen Aspekte. Für die meisten Menschen ist ihre Arbeit auch Selbstverwirklichung und Ort sozialer Kontakte. Arbeit strukturiert unser Leben und bietet gesellschaftliche Teilhabe. Ein Grundeinkommen würde diese soziale Struktur individualisieren."

Zum ersten Teil lässt sich schnell sagen: Wenn das so ist, dann wird das BGE daran nichts ändern, denn weder verbietet es Erwerbsarbeit (nur um die geht es Meyer), noch macht es sie unattraktiv, denn zum BGE könnte noch ein Lohn hinzutreten. Arbeit und Selbstverwirklichung? Naja, es kommt darauf an, was damit gemeint ist, zweierlei ist möglich. Arbeit als Selbstverwirklichung erhebt Arbeit zum Selbstzweck, es geht nur noch um "mich", nicht mehr um eine Sache. Das ist desaströs und eher arbeitsschädigend. Wohlwollend gedacht, würde Meyer dem zustimmen. Was ist "Arbeit" aber dann? Sie dient einer Sache, im allgemeinsten Sinne sorgt Arbeit für eine Problemlösung, stellt sie bereit. Das gilt für Erwerbsarbeit ebenso wie für alle anderen Leistungsformen, auch diejenigen, die um des anderen selbst willen erbracht werden, die sich ihm zuwenden. Statt von Leistung könnten wir vom Dienen sprechen. Sich in den Dienst einer Sache oder eines Menschen zu stellen, ohne sein Diener zu sein. Und soziale Kontakte? Welcher Art sind die denn am Arbeitsplatz? Es begegnen sich dort nicht Menschen, die sich füreinander interessieren und nur deswegen zusammenkommen, es begegnen sich Kollegen und nur als solche sind sie am Arbeitsplatz von Bedeutung. Weil sie Kollegen im Dienst einer Sache bzw. eines Unternehmens sind, können sie durch andere ersetzt werden. Eine bittere Erfahrung, wer sich Illusionen darüber macht, was ein Arbeitsverhältnis auszeichnet. Es ist ja eine moderne Errungenschaft, dass Privatleben und Arbeitswelt separiert sind und Arbeitgeber auf ersteres keinen Zugriff haben sollen. Ob jemand sein Leben durch Arbeit oder durch sich selbst strukturiert haben will, würde ich ihm überlassen wollen. Meyer scheint die zweite Option gar nicht vorzusehen. "Gesellschaftliche Teilhabe" - wer wäre dagegen, aber was heißt das? Die stärkste Form der "Teilhabe" ist es, als Bürger zum Souverän zu gehören, von dem alle Staatsgewalt ausgeht. Dass dieser ein Einkommen benötigt, ist klar, das muss aber nicht durch Erwerbsarbeit erzielt werden.

Wie geht es weiter?

"Zweitens würde das Grundeinkommen nicht das fundamentale Ungleichheitsproblem der Digitalisierung lösen. Wenn die radikalsten Prognosen zutreffen sollten, dann werden einige wenige aus der digitalen Ökonomie die größten Vorteile ziehen. In diesem Szenario, in dem die meisten Jobs verschwunden wären, gäbe es ein neues Prekariat auf dem Niveau des Grundeinkommens. Man könnte sein Einkommen nicht durch zusätzliche Arbeit aufbessern, weil es diese Jobs schlicht nicht mehr gäbe."

Wenn darauf also alles hinausliefe, wäre die Antwort doch klar: ein höheres BGE. Alternativen gäbe es ja nicht mehr, es sei denn, es würde auf Automatisierungsmöglichkeiten verzichtet. Auch dann aber wäre ein BGE die beste Basis dafür, Entscheidungen freier treffen zu können als heute.

"Drittens ist unklar, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen in einer Höhe, in der es Arbeitseinkommen ersetzen könnte, finanziert werden soll und wie vermieden werden kann, dass die Bedingungslosigkeit dazu führt, dass knappe öffentliche Ressourcen dazu benutzt werden, jene zu subventionieren, die das Grundeinkommen gar nicht brauchen. Nicht benötigte Zahlungen über reformierte Steuersysteme zurückzugewinnen ist einfacher gesagt als getan.

Der erste Teil ist leicht zu beantworten: durch Steuern. Wenn das Szenario unter "zweitens" gilt, bliebe ohnehin nichts anderes übrig. Sollte das Szenario nicht so eintreffen, sondern noch nennenswerte Aufgaben übrigbleiben, die ein weiteres Einkommen mit sich brächten, dann wäre das Volkseinkommen in drei Teile aufzuteilen, die zum einen für öffentliche Aufgaben, zum weiteren für das BGE und zum dritten für Einkommen durch Löhne verwendbar ist. Etwa so wie heute, allerdings ohne BGE. Dass Meyer wie viele andere die Sorge anführt, ein BGE könnten dann auch die erhalten, die es nicht brauchen - ja, natürlich wäre das so, das ist ja der Sinn des BGE. Doch, wonach entscheidet sich denn heute, wer Anrecht auf den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer hat bzw. auf das Existenzminimum? Nicht die Bedürftigkeit, es ist der politische Konsens, der die Bereitstellung des Existenzminimums als Aufgabe des Gemeinwesens betrachtet (auch wenn das in dieser oder jener Form immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung ist).

"Schließlich stellt sich die Frage, wie genau sich ein bedingungsloses Grundeinkommen mit den europäischen Regeln der Personenfreizügigkeit in Einklang bringen ließe. Und es ist auch unklar, wie existierende Rentenansprüche und die Zukunft der Krankenversicherung gehandhabt würden."

Die erste Frage stellt sich heute ebenso, wie der Klärungsbedarf beim Arbeitslosengeld II, der Sozialhilfe oder dem Kindergeld jüngst deutlich gemacht hat.

Da Meyer dennoch das BGE für "keine überzeugende Antwort auf die Digitalisierung" hält, fragt er, "was wäre die Alternative?"

"Zuerst sollte die heutige Bildungspolitik grundlegend überprüft werden. Es wird generell noch viel zu viel Wert gelegt auf die Aufnahme von Informationen und viel zu wenig darauf, wie aus Informationen Wissen entsteht. Auch das Erlernen von analytischen und kreativen Fähigkeiten sowie sozialer Kompetenz kommt oft zu kurz. Technische Fähigkeiten können in Zukunft immer schneller obsolet werden. Die Kompetenz, sich auf Basis übertragbarer Qualitäten fortwährend weiterzubilden wird aber eine wichtige Erfolgsgrundlage sein."

Und das soll nun gegen ein BGE sprechen? Das spricht eher dafür. Weil Bildung auf die Bildungsbereitschaft des Einzelnen angewiesen ist - und zwar nicht erst in Zukunft -, müssen die Bedingungen dafür besser werden, damit diese Bildungsbereitschaft möglichst ohne Lenkung, nur durch Unterstützung sich entfalten kann. Diese Unterstützung muss aber stets den Bildungswillen im Auge haben. Dann müsste als erstes die Schulpflicht abgeschafft werden, damit Schule zum interessanten Ort zur Erkundung des Unbekannten werden kann und nicht mehr Pflicht ist. In der Schule fehlen zu dürfen, könnte dann zu einem Ärgernis werden, weil interessante Erfahrung einem entgehen - oder auch nicht, weil die Ruhe, die das Zuhause bietet, nötig war, um sich zu erholen. Welchen Erfolg meint Meyer hier? Es klingt deutlich nach beruflichen Erfolg, nicht aber nach dem Erfolg, den Bildung durch Erfahrung mit sich bringt. Das sind aber zwei verschiedene Dinge (siehe hier).

Nun kommt, was nicht fehlen darf:

"Als nächster Schritt sollte über die Verteilung der verbliebenen Arbeit nachgedacht werden. Soweit wie möglich sollten die verbliebenen Tätigkeiten auf mehr Schultern verteilt werden. Das würde vermutlich nicht gleich zu der 15-Stunden-Woche führen, die der Ökonom John Maynard Keynes einst für möglich hielt, aber nichtsdestotrotz einen ersten Ansatz bieten, um die möglichen Folgen des technischen Wandels abzufedern."

Und weshalb sollte diese Verteilung hilfreich sein, weil Erwerbsarbeit Selbstzweck und deswegen ein hohes Gut ist, Selbstbestimmung aber wenig zählt? Meyer spricht doch wieder nur von Erwerbstätigkeit und nicht von derjenigen Tätigkeit, die jemand für wichtig und richtig erachtet. Das kann sehr wohl auch Erwerbstätigkeit sein, nicht aber vor allem und ausschließlich. Wer sollte das entscheiden? Sollte der Einzelne diese Möglichkeit haben oder nicht? Nach Meyer würde sie ihm nicht gegeben, genau das Gegenteil aber will das BGE.

Und nun?

"Darüber hinaus sollte die Politik über eine Beschäftigungsgarantie nachdenken. Regierungen würden über eine solche Garantie indirekt als Arbeitgeber der letzten Instanz auftreten, was de facto bedeutet, dass die Bezahlung einer Beschäftigung von deren Inhalt entkoppelt wird. Diese Entkoppelung würde ein zusätzliches Politikinstrument schaffen, um gezielt sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen."

Beschäftigungsgarantie - kann nur heißen in Absehung davon, ob die Beschäftigung benötigt wird (siehe hier). Damit wird Arbeit gerade ihres Sinnes entleert. Es ginge dann nicht mehr um Arbeit zur Bewältigung eines Handlungsproblems, um eine Problemlösung bereitzustellen, die Automaten nicht bereitstellen können. Nein, es ginge dann um Beschäftigung ohne Handlungsproblem, Beschäftigung selbst als Problemlösung ohne weiteren Zweck. Das ist Beschäftigungstherapie. Oder meint Meyer das anders?

"Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels könnte dadurch zum Beispiel Beschäftigung in bisher unterversorgten Bereichen, wie etwa in der Kranken- und Altenpflege, generiert werden."

Das schöne Verb "generieren" unterschlägt, dass zwar Arbeitsplätze geschaffen werden können, nicht aber kann garantiert werden, dass sich Mitarbeiter für sie finden, die geeignet wären. Nicht einmal das Anziehen der "Daumenschrauben", die im heutigen Sozialstaat eingesetzt werden, würde das möglich machen. Arbeitszwang wäre ja ausgeschlossen, oder? Ein BGE hingegen könnte die Bedingungen verbessern, unter denen sich jemand für eine Erwerbsarbeit entscheidet, das würde jeder Tätigkeit zugutekommen.

Was kommt noch?

"Zusätzlich könnte durch Unterstützung lokaler Aktivitäten, vor allem im Sport- und Kulturbereich, soziale Kohäsion und Gemeinschaft auf kommunaler Ebene gefördert werden. Die Idee der Beschäftigungsgarantie beruht auf der Annahme, dass selbst dann, wenn traditionelle Erwerbsarbeit in erheblichem Umfang verschwinden sollte, der Gesellschaft die Ideen für sozial wünschenswerte Beschäftigung nicht ausgehen werden. Dies führt zu der Frage, wie eine solche Beschäftigungsgarantie finanziert werden könnte."

Die zuletzt gestellte Frage ist gar nicht die entscheidende. Wichtiger ist, was eine Beschäftigungsgarantie mit dem Leistungsethos machen würde, das zukünftig genauso benötigt wird wie in der Vergangenheit, ein Leistungsethos, das sich durch die Bereitschaft und den Drang auszeichnet, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen und Problemlösungen hervorzubringen. Was wird aus ihm, wenn simulierte oder verordnete Beschäftigung an seine Stelle tritt? Würde ein BGE nicht vielmehr dem Leistungsethos dienlich sein, weil es die Initiative dem Einzelnen überlässt, ganz gleich wofür sich zu entscheiden? Diese Entscheidung wäre dann immer eine, die er zu tragen bereit wäre und keine, die nötig wäre, um durch Beschäftigungsgarantie ein Einkommen zu erhalten. Warum kann Meyer nicht zuerst einmal davon ausgehen, dass der Einzelne grundsätzlich schon etwas mit sich anzufangen weiß, wenn es legitim wäre, das dieses "etwas" nicht notwendig Erwerbstätigkeit sein müsste.

Wie wäre "soziale Kohäsion" und "Gemeinschaft" einfacher zu fördern als durch ein BGE, weil es eine Solidarleistung der politischen Gemeinschaft ist, die dem Einzelnen zuerst einmal zutraut, selbst Dinge in die Hand nehmen zu können, auch dann, wenn er Hilfe benötigt (was wir heute nur für Kunden und Patienten so gelten lassen). Genau dieses Zutrauen ist gemeinschaftsfördernd, weil es jeden so anerkennt, wie er ist. Es mag kein Zufall sein, dass Meyer genau diese Dimension gar nicht behandelt in seinem Beitrag, weil das Gemeinwesen von Bürgern als Solidarverband eben keine Rolle für ihn spielt. Da genau aber setzt das BGE an.

Sascha Liebermann

"Die Starre vor dem Fall. Wie ein junger Mensch vom Jobcenter unter das Existenzminimum gedrückt wird - und wie er aus dem System fällt"...

...eine Reportage von Timo Stukenberg auf der Website CORRECT!V.

Angesichts dessen, dass die Praxis der Arbeitsagenturen und Jobcenter nach wie vor von "Jubelberichten über den Arbeitsmarkt" (siehe auch hier) überstrahlt werden, kann nicht oft genug daran erinnert werden, wie wir heute mit denjenigen umgehen, die im Leistungsbezug sind. Und nicht nur mit denjenigen, denn die Gesetzgebung gilt für alle, sie ist also ein Zeichen dafür, wie wir als Gemeinwesen zu den anderen und uns selbst stehen.

Zur Wirkung von Sanktionen siehe hier und hier.