1. Juni 2017

Beschäftigungsgarantie statt Bedingungsloses Grundeinkommen...

...- dafür plädiert Henning Meyer in der Süddeutschen Zeitung. Vor nicht allzulanger Zeit hat er einen ähnlichen Beitrag bei Zeit Online veröffentlicht ("Und das soll gerecht sein").

Worum geht es? Auf Befürchtungen dazu, was die Digitalisierung für die Arbeitswelt bedeuten könne, werde das BGE als Lösung vorgeschlagen, ein schlechter Vorschlag, meint Henning Meyer. Weshalb?

"Erstens senkt das Grundeinkommen den Wert der Arbeit. Selbstverständlich ist die Generierung von Einkommen ein wichtiger Teil der Arbeitswelt, genauso wichtig sind aber auch die sozialen Aspekte. Für die meisten Menschen ist ihre Arbeit auch Selbstverwirklichung und Ort sozialer Kontakte. Arbeit strukturiert unser Leben und bietet gesellschaftliche Teilhabe. Ein Grundeinkommen würde diese soziale Struktur individualisieren."

Zum ersten Teil lässt sich schnell sagen: Wenn das so ist, dann wird das BGE daran nichts ändern, denn weder verbietet es Erwerbsarbeit (nur um die geht es Meyer), noch macht es sie unattraktiv, denn zum BGE könnte noch ein Lohn hinzutreten. Arbeit und Selbstverwirklichung? Naja, es kommt darauf an, was damit gemeint ist, zweierlei ist möglich. Arbeit als Selbstverwirklichung erhebt Arbeit zum Selbstzweck, es geht nur noch um "mich", nicht mehr um eine Sache. Das ist desaströs und eher arbeitsschädigend. Wohlwollend gedacht, würde Meyer dem zustimmen. Was ist "Arbeit" aber dann? Sie dient einer Sache, im allgemeinsten Sinne sorgt Arbeit für eine Problemlösung, stellt sie bereit. Das gilt für Erwerbsarbeit ebenso wie für alle anderen Leistungsformen, auch diejenigen, die um des anderen selbst willen erbracht werden, die sich ihm zuwenden. Statt von Leistung könnten wir vom Dienen sprechen. Sich in den Dienst einer Sache oder eines Menschen zu stellen, ohne sein Diener zu sein. Und soziale Kontakte? Welcher Art sind die denn am Arbeitsplatz? Es begegnen sich dort nicht Menschen, die sich füreinander interessieren und nur deswegen zusammenkommen, es begegnen sich Kollegen und nur als solche sind sie am Arbeitsplatz von Bedeutung. Weil sie Kollegen im Dienst einer Sache bzw. eines Unternehmens sind, können sie durch andere ersetzt werden. Eine bittere Erfahrung, wer sich Illusionen darüber macht, was ein Arbeitsverhältnis auszeichnet. Es ist ja eine moderne Errungenschaft, dass Privatleben und Arbeitswelt separiert sind und Arbeitgeber auf ersteres keinen Zugriff haben sollen. Ob jemand sein Leben durch Arbeit oder durch sich selbst strukturiert haben will, würde ich ihm überlassen wollen. Meyer scheint die zweite Option gar nicht vorzusehen. "Gesellschaftliche Teilhabe" - wer wäre dagegen, aber was heißt das? Die stärkste Form der "Teilhabe" ist es, als Bürger zum Souverän zu gehören, von dem alle Staatsgewalt ausgeht. Dass dieser ein Einkommen benötigt, ist klar, das muss aber nicht durch Erwerbsarbeit erzielt werden.

Wie geht es weiter?

"Zweitens würde das Grundeinkommen nicht das fundamentale Ungleichheitsproblem der Digitalisierung lösen. Wenn die radikalsten Prognosen zutreffen sollten, dann werden einige wenige aus der digitalen Ökonomie die größten Vorteile ziehen. In diesem Szenario, in dem die meisten Jobs verschwunden wären, gäbe es ein neues Prekariat auf dem Niveau des Grundeinkommens. Man könnte sein Einkommen nicht durch zusätzliche Arbeit aufbessern, weil es diese Jobs schlicht nicht mehr gäbe."

Wenn darauf also alles hinausliefe, wäre die Antwort doch klar: ein höheres BGE. Alternativen gäbe es ja nicht mehr, es sei denn, es würde auf Automatisierungsmöglichkeiten verzichtet. Auch dann aber wäre ein BGE die beste Basis dafür, Entscheidungen freier treffen zu können als heute.

"Drittens ist unklar, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen in einer Höhe, in der es Arbeitseinkommen ersetzen könnte, finanziert werden soll und wie vermieden werden kann, dass die Bedingungslosigkeit dazu führt, dass knappe öffentliche Ressourcen dazu benutzt werden, jene zu subventionieren, die das Grundeinkommen gar nicht brauchen. Nicht benötigte Zahlungen über reformierte Steuersysteme zurückzugewinnen ist einfacher gesagt als getan.

Der erste Teil ist leicht zu beantworten: durch Steuern. Wenn das Szenario unter "zweitens" gilt, bliebe ohnehin nichts anderes übrig. Sollte das Szenario nicht so eintreffen, sondern noch nennenswerte Aufgaben übrigbleiben, die ein weiteres Einkommen mit sich brächten, dann wäre das Volkseinkommen in drei Teile aufzuteilen, die zum einen für öffentliche Aufgaben, zum weiteren für das BGE und zum dritten für Einkommen durch Löhne verwendbar ist. Etwa so wie heute, allerdings ohne BGE. Dass Meyer wie viele andere die Sorge anführt, ein BGE könnten dann auch die erhalten, die es nicht brauchen - ja, natürlich wäre das so, das ist ja der Sinn des BGE. Doch, wonach entscheidet sich denn heute, wer Anrecht auf den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer hat bzw. auf das Existenzminimum? Nicht die Bedürftigkeit, es ist der politische Konsens, der die Bereitstellung des Existenzminimums als Aufgabe des Gemeinwesens betrachtet (auch wenn das in dieser oder jener Form immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung ist).

"Schließlich stellt sich die Frage, wie genau sich ein bedingungsloses Grundeinkommen mit den europäischen Regeln der Personenfreizügigkeit in Einklang bringen ließe. Und es ist auch unklar, wie existierende Rentenansprüche und die Zukunft der Krankenversicherung gehandhabt würden."

Die erste Frage stellt sich heute ebenso, wie der Klärungsbedarf beim Arbeitslosengeld II, der Sozialhilfe oder dem Kindergeld jüngst deutlich gemacht hat.

Da Meyer dennoch das BGE für "keine überzeugende Antwort auf die Digitalisierung" hält, fragt er, "was wäre die Alternative?"

"Zuerst sollte die heutige Bildungspolitik grundlegend überprüft werden. Es wird generell noch viel zu viel Wert gelegt auf die Aufnahme von Informationen und viel zu wenig darauf, wie aus Informationen Wissen entsteht. Auch das Erlernen von analytischen und kreativen Fähigkeiten sowie sozialer Kompetenz kommt oft zu kurz. Technische Fähigkeiten können in Zukunft immer schneller obsolet werden. Die Kompetenz, sich auf Basis übertragbarer Qualitäten fortwährend weiterzubilden wird aber eine wichtige Erfolgsgrundlage sein."

Und das soll nun gegen ein BGE sprechen? Das spricht eher dafür. Weil Bildung auf die Bildungsbereitschaft des Einzelnen angewiesen ist - und zwar nicht erst in Zukunft -, müssen die Bedingungen dafür besser werden, damit diese Bildungsbereitschaft möglichst ohne Lenkung, nur durch Unterstützung sich entfalten kann. Diese Unterstützung muss aber stets den Bildungswillen im Auge haben. Dann müsste als erstes die Schulpflicht abgeschafft werden, damit Schule zum interessanten Ort zur Erkundung des Unbekannten werden kann und nicht mehr Pflicht ist. In der Schule fehlen zu dürfen, könnte dann zu einem Ärgernis werden, weil interessante Erfahrung einem entgehen - oder auch nicht, weil die Ruhe, die das Zuhause bietet, nötig war, um sich zu erholen. Welchen Erfolg meint Meyer hier? Es klingt deutlich nach beruflichen Erfolg, nicht aber nach dem Erfolg, den Bildung durch Erfahrung mit sich bringt. Das sind aber zwei verschiedene Dinge (siehe hier).

Nun kommt, was nicht fehlen darf:

"Als nächster Schritt sollte über die Verteilung der verbliebenen Arbeit nachgedacht werden. Soweit wie möglich sollten die verbliebenen Tätigkeiten auf mehr Schultern verteilt werden. Das würde vermutlich nicht gleich zu der 15-Stunden-Woche führen, die der Ökonom John Maynard Keynes einst für möglich hielt, aber nichtsdestotrotz einen ersten Ansatz bieten, um die möglichen Folgen des technischen Wandels abzufedern."

Und weshalb sollte diese Verteilung hilfreich sein, weil Erwerbsarbeit Selbstzweck und deswegen ein hohes Gut ist, Selbstbestimmung aber wenig zählt? Meyer spricht doch wieder nur von Erwerbstätigkeit und nicht von derjenigen Tätigkeit, die jemand für wichtig und richtig erachtet. Das kann sehr wohl auch Erwerbstätigkeit sein, nicht aber vor allem und ausschließlich. Wer sollte das entscheiden? Sollte der Einzelne diese Möglichkeit haben oder nicht? Nach Meyer würde sie ihm nicht gegeben, genau das Gegenteil aber will das BGE.

Und nun?

"Darüber hinaus sollte die Politik über eine Beschäftigungsgarantie nachdenken. Regierungen würden über eine solche Garantie indirekt als Arbeitgeber der letzten Instanz auftreten, was de facto bedeutet, dass die Bezahlung einer Beschäftigung von deren Inhalt entkoppelt wird. Diese Entkoppelung würde ein zusätzliches Politikinstrument schaffen, um gezielt sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen."

Beschäftigungsgarantie - kann nur heißen in Absehung davon, ob die Beschäftigung benötigt wird (siehe hier). Damit wird Arbeit gerade ihres Sinnes entleert. Es ginge dann nicht mehr um Arbeit zur Bewältigung eines Handlungsproblems, um eine Problemlösung bereitzustellen, die Automaten nicht bereitstellen können. Nein, es ginge dann um Beschäftigung ohne Handlungsproblem, Beschäftigung selbst als Problemlösung ohne weiteren Zweck. Das ist Beschäftigungstherapie. Oder meint Meyer das anders?

"Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels könnte dadurch zum Beispiel Beschäftigung in bisher unterversorgten Bereichen, wie etwa in der Kranken- und Altenpflege, generiert werden."

Das schöne Verb "generieren" unterschlägt, dass zwar Arbeitsplätze geschaffen werden können, nicht aber kann garantiert werden, dass sich Mitarbeiter für sie finden, die geeignet wären. Nicht einmal das Anziehen der "Daumenschrauben", die im heutigen Sozialstaat eingesetzt werden, würde das möglich machen. Arbeitszwang wäre ja ausgeschlossen, oder? Ein BGE hingegen könnte die Bedingungen verbessern, unter denen sich jemand für eine Erwerbsarbeit entscheidet, das würde jeder Tätigkeit zugutekommen.

Was kommt noch?

"Zusätzlich könnte durch Unterstützung lokaler Aktivitäten, vor allem im Sport- und Kulturbereich, soziale Kohäsion und Gemeinschaft auf kommunaler Ebene gefördert werden. Die Idee der Beschäftigungsgarantie beruht auf der Annahme, dass selbst dann, wenn traditionelle Erwerbsarbeit in erheblichem Umfang verschwinden sollte, der Gesellschaft die Ideen für sozial wünschenswerte Beschäftigung nicht ausgehen werden. Dies führt zu der Frage, wie eine solche Beschäftigungsgarantie finanziert werden könnte."

Die zuletzt gestellte Frage ist gar nicht die entscheidende. Wichtiger ist, was eine Beschäftigungsgarantie mit dem Leistungsethos machen würde, das zukünftig genauso benötigt wird wie in der Vergangenheit, ein Leistungsethos, das sich durch die Bereitschaft und den Drang auszeichnet, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen und Problemlösungen hervorzubringen. Was wird aus ihm, wenn simulierte oder verordnete Beschäftigung an seine Stelle tritt? Würde ein BGE nicht vielmehr dem Leistungsethos dienlich sein, weil es die Initiative dem Einzelnen überlässt, ganz gleich wofür sich zu entscheiden? Diese Entscheidung wäre dann immer eine, die er zu tragen bereit wäre und keine, die nötig wäre, um durch Beschäftigungsgarantie ein Einkommen zu erhalten. Warum kann Meyer nicht zuerst einmal davon ausgehen, dass der Einzelne grundsätzlich schon etwas mit sich anzufangen weiß, wenn es legitim wäre, das dieses "etwas" nicht notwendig Erwerbstätigkeit sein müsste.

Wie wäre "soziale Kohäsion" und "Gemeinschaft" einfacher zu fördern als durch ein BGE, weil es eine Solidarleistung der politischen Gemeinschaft ist, die dem Einzelnen zuerst einmal zutraut, selbst Dinge in die Hand nehmen zu können, auch dann, wenn er Hilfe benötigt (was wir heute nur für Kunden und Patienten so gelten lassen). Genau dieses Zutrauen ist gemeinschaftsfördernd, weil es jeden so anerkennt, wie er ist. Es mag kein Zufall sein, dass Meyer genau diese Dimension gar nicht behandelt in seinem Beitrag, weil das Gemeinwesen von Bürgern als Solidarverband eben keine Rolle für ihn spielt. Da genau aber setzt das BGE an.

Sascha Liebermann