31. März 2017

Wie entscheidet sich, ob eine Lösung die beste ist, politisch oder technisch-funktional?

Lässt sich das überhaupt so gegeneinander stellen, wie es die Überschrift behauptet? Bei der Frage, um die es hier geht, soll mit der Antwort etwas herausgehoben werden, das in öffentlichen Diskussionen nicht selten untergeht. Nicht nur beim Bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich die Frage nach der Finanzierung, sie wird immer gestellt, wenn es darum geht zu gestalten. Allerdings kann sie kaum beantwortet werden, wenn nicht klar ist, was gestaltet werden soll. Insofern ist der Hinweis von Thomas Straubhaar, den er jüngst in einem Gespräch bei Phoenix über das Grundeinkommen gab, zutreffend: Ohne über die Gestaltung befunden zu haben, ist über die Finanzierungsrechnung nichts zu sagen, denn sie muss ja der Gestaltung gemäß sein. So weit, so gut. Auch in der allgemeinen Diskussion zu Gestaltungsfragen des Zusammenlebens wird allzuschnell mit der Finanzierungsfrage jegliches Nachdenken abgewürgt. Das kann einen dazu bringen anzunehmen, dass, wenn die Finanzierungsfrage geklärt wäre, diejenigen nichts mehr einzuwenden hätten, die einen Gestaltungsvorschlag zuvor noch abgewehrt haben.

In der BGE-Diskussion wird das ebenso vertreten, wie eine Diskussion erkennen ließ, die anlässlich eines Blogbeitrags von Baukje Dobberstein entstand (Kommentare sind leider nicht mehr sichtbar, siehe auch hier). Diese Diskussion gehört zur BGE-Debatte wie das BGE selbst, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Gibt es denn plausible Überlegungen, die die Behauptung stützen, dass mit einer soliden Finanzierungsrechnung die entscheidenden Einwände der Kritiker ausgeräumt werden könnten?

In der Tat kann diesen Eindruck gewinnen, wer an Grundeinkommensveranstaltungen teilnimmt, darüber Gespräche mit anderen führt oder sich mit Publikationen auseinandersetzt . Die Finanzierungsfrage kommt meist sehr schnell, oft als erste auf den Tisch, noch bevor klar geworden ist, worum es bem BGE genau geht. Das müsste einen schon stutzig machen. Wie erklärt man dieses sonderbare Missverhältnis, etwas schon per Finanzierungseinwand pauschal aburteilen zu können, ohne sich damit genauer beschäftigt zu haben?

Wir haben schon zu Beginn unseres Engagements in den Jahren 2003 bis 2006 diese Erfahrung selbst immer wieder gemacht, und zwar anhand des Ulmer Transfergrenzenmodells. Mit Helmut Pelzer diskutierten wir über das Modell und trugen in Gestalt von Ute Fischer zu seiner Fortentwicklung bei. In Veranstaltungen haben wir, wenn die Finanzierungsfrage aufgeworfen wurde, uns dann häufig auf dieses Modell gestützt und es grob erklärt. Es waren häufig gerade diejenigen, die eine Finanzierungsrechnung einforderten, die uns zugleich entgegneten, dass sie der Berechnung keinen Glauben schenken. Diese Einschätzung wurde ungefähr genauso schnell geäußert, wie zuvor der Finanzierungseinwand vorgebracht worden war. Wer sich mit solchen Modellen nicht beschäftigt oder dazu ein ausgeprägtes Vorwissen mitbringt, kann im Grunde nicht aus dem Stand beurteilen, ob eine Berechnung trägt. Deswegen ist es auch einigermaßen anspruchsvoll, darüber in Vorträgen zu diskutieren. Nicht nur geht es um die Rechenschritte, die vollzogen werden müsen, es geht ja auch um die Qualität der Daten, die verwendet werden und um die Zusammenhänge, die für die Berechnung vorausgesetzt oder behauptet werden.

Wer eine gewisse Vorbildung für solche Fragen nicht hat, für den ist es ungleich schwerer, wenn nicht gar unmöglich, etwas zu Finanzierungsmodellen zu sagen. Und die meisten Zuhörer beschäftigen sich damit gar nicht. Dennoch aber wird schnell behauptet, dies oder jenes sei nicht zu finanzieren. Und selbst Experten, die sich qua Beruf mit der mathematischen Seite solcher Modelle befassen, berücksichtigen darin häufig normative Folgen nicht.

Woher rührt dann aber bei die sonderbare Gewissheit, dass die Finanzierungsfrage an erster Stelle stehe und deswegen zuerst beantwortet werden müsse? Wie oben schon erwähnt, geht es bei Finanzierungsrechnungen um Gestaltungsfragen, das sind Fragen danach, ob etwas in dieser oder jeder Form gewollt ist, ob es für richtig gehalten wird. Es geht also um Wertvorstellungen, die immer Gerechtigkeitsvorstellungen beinhalten. Ein Finanzierungsmodell kann noch so konsistent und tragfähig sein, es muss deshalb noch lange nicht für richtig befunden werden bezüglich der Gestaltungsfrage, zu deren Lösung es beitragen soll. Häufig werden beide Aspekte derart vermengt, dass sie, um eine Argumentation einschätzen zu können, zuerst einmal wieder voneinander getrennt werden müssen. Das ist wie bei vielen Studien auch der Fall gewesen bei derjenigen, die Florian Habermacher und Gebhard Kirchgässner von der Universität St. Gallen (siehe meine Anmerkung) vor wenigen Jahren vorgelegt haben. Die Berechnung traf bestimmte Annahmen darüber, warum Menschen auf eine bestimmte Weise und aus bestimmten Gründen handeln. Und diese Annahmen führten dann zu bestimmten Schlussfolgerungen, die nicht hätten gezogen werden können, wenn diese Annahmen nicht getroffen worden wären. Dasselbe gilt für die Bewertung von Ergebnissen, sei es solcher Berechnungen, sei es von Feldexperimenten wie denen in Nordamerika, den sogenannten Negative-Income-Tax-Experiments. Selbst die Einschätzung der Befunde hängt davon ab, was als wünschenswert betrachtet wird, wie Karl Widerquist gezeigt hat. Aus Sicht desjenigen, der die Erwerbsteilnahme alleinerziehender Mütter, um ein Beispiel zu nennen, für erstrebenswert hält, ist der Rückgang ihres Arbeitsangebots unerwünscht. Aus Sicht desjenigen, der durch ein BGE Freiräume dafür ermöglicht sieht, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten und dafür für die Kinder da zu sein, ist er erwünscht. Das dies schon Bewertungen beinhaltet und nicht mehr nur Analyse ist, kann schnell übersehen werden.

Nun werden genau diese Bewertungen und dahinter liegende Überzeugungen in der öffentlichen Diskussion in ihrer Beharrlichkeit häufig unterschätzt. Das führt manche Befürworter dazu anzunehmen, dass es schon eine Mehrheit für das BGE gebe, andere dazu, auf das Grundgesetz hinzuweisen, demzufolge schon ein Grundeinkommen garantiert werde, allerdings ein von Erwerbsarbeit abgeleitetes, also bedarfgeprüftes. Wenn das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Jahren wieder den Anspruch auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum" als "unverfügbar" (siehe hier und hier) bezeichnet und seine Ausgestaltung zur Aufgabe des Gesetzgebers erklärt hat, dann folgt daraus allerdings nicht notwendig, dass das Existenzminimum bedingungslose bereitgestellt werden müsste, zumindest nicht nach Rechtslage.

Es kann also keine Rede davon sein, dass es "nur" darauf ankomme, die Bedarfsprüfung aufzuheben, dann stünde dem BGE nichts mehr entgegen. Es ist gerade die Bedarfsprüfung, es ist die Nachrangigkeit sozialstaatlicher Leistungen, die dem heutigen Verständnis davon, was gerecht ist, entspricht. Es sind gerade diese Bedingungen, die heute zu Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe führen oder auch zum Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Sie stehen dem BGE beinhart entgegen, weil Gerechtigkeitsvorstellungen tief in unseren Überzeugungen verwurzelt sind. Da dürfen bestimmte Dinge einfach nicht sein. Daran ändert nichts, dass manche, die sich gegen das BGE aussprechen, sich offenkundig selbst widersprechen (siehe z. B. hier, hier, hier, hier und hier) und im Grund damit Belege für das BGE bieten.

In der Diskussion um ein BGE geht es also nicht zuerst und nicht vor allem um ein optimales Finanzierungsmodell, um die Kritiker zu überzeugen. Denn darauf lassen sie sich häufig schon gar nicht ein, weil das "Was" schon für ein Unding gehalten wird. Der Einwand, das BGE sei nicht zu finanzieren, ist meiner Erfahrung nach immer Symptom für einen Abwehrreflex. Deswegen führt kein Weg daran vorbei, es muss für ein BGE geworben werden in dem Sinne, das aufgezeigt wird, was es verändern würde im Verhältnis zum Bestehenden und welche Möglichkeiten es böte. Dass ein BGE unserem Lebensgefüge gemäß ist, ihm viel mehr entspricht als der überkommene Sozialstaat in seiner Erwerbszentrierung, das argumentativ hervorzugeben ist wichtig und der Verweis auf das Grundgesetz in diesem Sinne richtig, aber nicht ausreichend. Das ist weder eine juristische, noch eine steuerlich-technische oder mathematische Diskussion - es ist eine politische in dem Sinne, für einen Vorschlag zu werben, den man für richtig hält. Wenn dieser Schritt dann gewollt ist, dann sind all die Finanzierungsüberlegungen und ausgearbeiteten Modelle hilfreich, um Finanzierungsaufwand und -ertrag abzuschätzen. 


Das Menschenbild des Grundeinkommens ist eben nicht weltfremd oder muss erst noch erreicht werden, es ist Fundament unserer politischen Ordnung, das sehen wir bislang noch kaum. Von hier aus ist es in der Tat ein kleiner Schritt zum BGE und dennoch ein großer, weil bestimmte Vorstellungen aufgegeben werden müssen, damit dieser Schritt möglich ist.

Sascha Liebermann

30. März 2017

"Klug, liberal, gerecht, effizient" - ein Interview mit Thomas Straubhaar

"Klug, liberal, gerecht, effizient", so ist ein Interview mit Thomas Straubhaar in kreuzer - Das Leipzig-Magazin übertitelt.

In diesem Interview klingt es wieder so, als sehe Straubhaar doch nicht vor, dass das BGE eine eigenständige Einkommensquelle sei, die nicht verrechnet wird. Er antwortet an einer Stelle:

"Eine Steuerreform ist es in dem Sinn, dass es alle heute geleisteten Zahlungen an den Staat und Unterstützungsleistungen vom Staat an die Menschen in einem einzigen Instrument, dem BGE zusammenfasst. Alle Einkommen werden gleichermaßen besteuert, egal ob Arbeits- oder Kapitaleinkommen. Das sind die laufenden Einzahlungen an den Staat. Auf der anderen Seite ist es so, dass alle Menschen den gleichen Betrag vom Staat erhalten. Als würde man einen Vorschuss vom Staat erhalten, der dann am Ende des Jahres mit den Einkommensteuerleistungen zu verrechnen ist."

Ein BGE, das von der Wiege bis zur Bahre bereitgestellt wird, wird eben gerade nicht verrechnet, sonst folgte es einer Negativen Einkommensteuer. Oder meint Straubhaar etwas anderes an dieser Stelle?

Eine bemerkenswerte Antwort gibt er auf die folgende Frage:

"kreuzer: Wer würde dann noch investieren?

STRAUBHAAR: Kapital ist gar kein so scheues Reh, wie viele behaupten. Das ist ein Mythos. Finanzkapital mag andernorts hingehen, aber Realkapital, also Firmenanlagen, Fließbänder, Fabrikgebäude können nicht so schnell verlagert werden. Andere Faktoren, wie politische Stabilität, Rechtssicherheit und eine gute Qualität der Infrastruktur, sind viel wichtiger als Steuersätze."

In der folgenden Passage folgt dann das bekannte Anreiz-Denken:

"kreuzer: Menschen reagieren auf Anreize, so formuliert es Ihre eigene Disziplin die Volkswirtschaftslehre. Wird noch jemand arbeiten, wenn der Anreiz wegbricht zu arbeiten?

STRAUBHAAR: Es gibt empirisch ein Paradoxon. Fragen Sie Menschen, ob sie selber bei einem Grundeinkommen noch weiter bereit wären zu arbeiten und etwas dazu zu verdienen, sagt die überwiegende Mehrheit, dass sie mehr als das Existenzminimum haben möchte. Fragen Sie dieselben Menschen noch mal, wie sich deren Nachbarn verhalten würden, antworten sie, dass diese sicherlich aufhören würden zu arbeiten.

kreuzer: Also wissen wir nicht allzu viel.

STRAUBHAAR: Es gibt keine empirische Evidenz, wie ein Systemwechsel die Motivation der Menschen zu arbeiten verändert. Aber man weiß ohnehin nicht, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird, gerade in Bezug auf die Digitalisierung. Wenn man an den Anreizgedanken glaubt, dann müssen Menschen einfach entsprechend höhere Anreize geboten werden, damit es sich stärker als heute lohnt, arbeiten zu gehen.

kreuzer: Das bedeutet einen höheren Reallohn für alle.

STRAUBHAAR: Genau. Die Marktmacht der Beschäftigen gegenüber den Kapitalisten würde steigen. Und je mehr sie zunimmt, umso mehr müssen die Arbeitgeber aktiv werden, um Beschäftigte zu finden. Das würde zu steigenden Reallöhnen führen, was finanzierbar ist. Die Digitalisierung führt zu steigender Arbeitsproduktivität und höheren Reallöhnen."

Aber nicht der unpräzisen "Anreize" wegen. Vielmehr zeichnet es die menschliche Praxis aus, gestalten und wirken zu wollen, allerdings nicht unter allen Bedingungen. Es geht also um Autonomie und Selbstbestimmung.

Sascha Liebermann

"Ausverkauf - Die Gefahren der Privatisierung"...

...ein Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Tim Engartner, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, im SWR. Siehe auch "Gemeingut in BürgerInnenhand"

29. März 2017

Digitalisierung - drei Positionen...

...eine im Handelsblatt "Jetzt wird es richtig ernst – für alle Berufsgruppen", eine weitere bei Zeit Online "Die Pi-mal-Daumen-Studie" (gegen naive Technologie-Verherrlichung) und zuletzt ein Arbeitspapier aus der AG Digitalisierung in der Partei Die Linke. Kommentare zu dieser Frage von unserer Seite finden Sie hier.

"Basic Income A Radical Proposal for a Free Society and a Sane Economy"...

...das neue Buch von Philippe Van Parijs und Yannick Vanderborght, Autoren von "Ein Grundeinkommen für alle. Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags".

28. März 2017

"Finnland testet bedingungsloses Grundeinkommen"...

...ein ausführlicheres Feature als sonst über das Finnische Grundeinkommensexperiment von Michael Frantzen im Deutschlandradio Kultur. Siehe auch den jüngeren Beitrag der Deutschen Welle dazu.

Publik Forum rezensiert das Buch von Thomas Straubhaar

Zum Beitrag geht es hier. Die Zeitschrift begleitet die BGE-Diskussion schon länger, siehe z. B. hier und einen älteren Beitrag "Rettet uns ein Grundeinkommen" samt Pro-Position von Sascha Liebermann und Contra-Position von Wolfgang Schroeder (siehe auch hier).

27. März 2017

Bündnis Grundeinkommen: Neuer Bundesvorstand und Wahl im Saarland

Am vergangenen Wochenende hat das Bündnis Grundeinkommen auf seinem Bundesparteitag einen neuen Vorstand gewählt. Er besteht aus
  • der Vorsitzenden Susanne Wiest
  • dem stellvertretenden Vorsitzenden Arnold Schiller (bis 26.3.2017),
  • dem Schatzmeister Frank Schröder, sowie
  • der stellvertretenden Schatzmeisterin Verena Nedden
Das vorläufige amtliche Endergebnis der Landtagswahl im Saarland liegt ebenfalls vor. Das Bündnis Grundeinkommen hat 0,1 % der Stimmen erhalten, das entspricht 286 abgegebenen Stimmen.

Update 21.24 Uhr: stellvertretende Vorsitzende ist Cosima Kern als Nachfolgerin von Arnold Schiller

"Arme Rentner, reiches Land"...

...eine Dokumentation im Deutschlandradio Kultur von Christine Werner.

24. März 2017

"Die niedrige Geburtenrate ist ein großer Gewinn für uns"...

...einen anderen Blick auf eine bekannte Diskussion wirft Wolfgang Kaden. Vor vielen Jahren schon hatte der Soziologe Karl-Otto Hondrich in diese Richtung argumentiert, auf den Kaden am Ende auch verweist, siehe hier und hier.

23. März 2017

Free Lunch Society - Trailer zum Film von Christian Tod

22. März 2017

Zwei Perspektiven auf das Engagement für das Bündnis Grundeinkommen

Baukje Dobberstein und Susanne Wiest haben sich dazu geäußert, wie sie ihr Engagement für das Bündnis Grundeinkommen verstehen.

Zum ersten Beitrag gibt es einige Kommentare, die sich um das Bündnis Grundeinkommen und die Bedeutung von Finanzierungsmodellen für die BGE-Debatte drehen. Dass die Verfasser mancher Kommentare von den eigenen Überlegungen überzeugt sind, sonst würden sie diese ja nicht vorbringen, ist klar. Dass sie bereit sind, sie argumentativ zu vertreten, ist wichtig, da kann es auch einmal schärfer zugehen, durchaus polemisch. Wie aber Diskutanten abgefertigt oder abgekanzelt werden, ist erstaunlich.

Update 19:42: Offenbar sind die Kommentare zum Beitrag von Baukje Dobberstein nicht mehr zugänglich.

"Freiheit ermöglichen, das Gemeinwesen stärken" - älterer Beitrag nun online verfügbar

Vor mehr als zehn Jahren hielt ich einen Vortrag mit diesem Titel: „Freiheit ermöglichen, das Gemeinwesen stärken – durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger“. Veröffentlicht wurde er in überarbeiteter Form in diesem Buch: Götz W. Werner, Ein Grund für die Zukunft - Das Grundeinkommen. Interviews und Reaktionen, Verlag Freies Geistesleben, S. 98-115. Nun ist er online zugänglich.

21. März 2017

"Grundeinkommen gewonnen!"...

...eine ausführliche Reportage in der ARD über "Mein Grundeinkommen" im Rahmen der Sendung "Gott und die Welt".

20. März 2017

"Hartz-IV-Empfänger: Weniger als die Hälfte ist offiziell arbeitslos"...

...resümiert O-Ton-Arbeitsmarkt den jüngsten Bericht der Bundesagentur für Arbeit: "Im Oktober 2016 gab es über 4,3 Millionen erwerbfähige Hartz-IV-Empfänger, aber weniger als die Hälfte von ihnen gilt als arbeitslos im Sinne der Statistik. Mit 61 Prozent wird der überwiegende Teil von ihnen nicht zu den Arbeitslosen gezählt. Das zeigt der aktuelle Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit."







"Denn so ein Grundeinkommen ist nicht anders als eine Unterstützung für langfristige Arbeitslose" meinte Dennis Snower

Das Inforadio rbb hat kürzlich ein Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Dennis Snower geführt, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel ist. In dem Interview geht es am Ende auch um das Bedingungslose Grundeinkommen.

Die Interviewerin fragt:

"Sylvia Tiegs: Nun gibt es ja inzwischen sogar von führenden Ökonomen, von Kollegen von Ihnen, die Unterstützung für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Darin sehen ja viele eine große Lösung für viele, viele Probleme. Zahl doch jedem eine bestimmte Summe ohne Verpflichtung und dann hast du erstmal Grund in der ganzen Sache drin.
Dennis Snower: Ich glaube, angesichts des großen technologischen Wandels, was auf uns zukommt - Maschinen werden in absehbarer Zeit Routinearbeit übernehmen und nachdem sie das getan haben, werden sie vorhersehbare Arbeit übernehmen - und was geschieht dann mit den Menschen, die Routinearbeit derzeit machen und später auch vorhersehbare Arbeit? Und das ist ein großes Problem und weil viele Leute dieses Problem nicht lösen können, schlagen sie auch aus diesem Grund, nicht nur aus dem sozialen Grund, ein bedingungsloses Grundeinkommen vor. Ich finde, es ist eine gute Stütze für kurze Zeit, aber wenn das als Allheilmittel gesehen wird, dann ist es nicht nur eine besonders dumme Idee, es ist auch eine schädliche Idee. Denn so ein Grundeinkommen ist nicht anders als eine Unterstützung für langfristige Arbeitslose. Und indem wir langfristige Arbeitslose unterstützen, ohne sie in die Beschäftigung zu integrieren, ohne sie zu ermächtigen, machen wir sie dadurch hilfloser als sie schon waren [Herv. SL]. Und Menschen sind glücklich, wenn sie sich ermächtigt fühlen und ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das Gegenteil tun. Daher sollten wir viel mehr denken über: Was sind die Möglichkeiten, die wir haben, Menschen zu ermächtigen? Aktive Arbeitsmarktpolitik, Bildung, Ausbildung kann in diese Richtung ziehen. Grundeinkommen ist eine Absicherung und das ist nützlich, um die Unsicherheit auf kurze Weile zu überdauern, aber langfristig, glaube ich, führt das in genau die falsche Richtung."

"Nicht anders" als eine "Unterstützung für langfristig Arbeitslose" ist doch eine ziemlich verkürzte, wenn nicht irreführende Deutung des Bedingungslosen Grundeinkommens. Denn wenn jeder zu jederzeit es erhält, ist es keine Unterstützung aus irgend einem Grund, der Ausgleich verlangt. Es hat seinen Grund in der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen, so wird meist argumentiert, damit ist es eben gerade nicht auf Arbeitslose beschränkt. Aufschlussreich für das Verständnis von "Ermächtigung" ist, wie Snower sie mit "Bechäftigung" verbindet, weil er Ermächtigung offenbar nur in diese Richtung deuten kann. Wenn durch ein BGE der stigmatisierende Charakter von Erwerbslosigkeit wegfällt, weil der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgehoben wird, weshalb macht es dann die Bürger "hilfloser"? Ein weitreichendere Ermächtigung als durch ein BGE ist ja schwer vorstellbar. Wenn Beschäftigung derart auf den Sockel gehoben wird wie von Snower, dann geht das nur, wenn sie ihre Kerns entledigt wird. "Beschäftigung" ist solange sinnvoll, solange sie mit einer Aufgabe verbunden ist, die notwendiger durch menschliche Arbeitskraft bewältigt werden muss. Wird sie dieses Zwecks entleert, fehlt ihr die Sinnhaftigkeit.

Sascha Liebemann

17. März 2017

Globale Wirtschaftselite? Eine Legende...

...wenn man den Untersuchungen von Michael Hartmann, Prof. em. für Soziologie an der TU Darmstadt, folgt. In einem Interview mit dem Deutschlandradio gab er über seine Forschung Auskunft, in der er sich seit Jahrzehnten schon damit beschäftigt, wie Eliten sich ausbilden. Ein Auszug:

"Hartmann: Ja, sie sind hoch mobil in dem Sinne, dass sie natürlich, wenn es sich um Topmanager handelt, diese berühmten Roadshows machen müssen. Also, sie müssen für Investoren dann eben nach New York oder nach Tokio fliegen, aber das sind immer nur kurze Stippvisiten. Wenn man sich anguckt, wo diese Topmanager tatsächlich arbeiten, so arbeiten 90 Prozent in ihrem Heimatland. Die fliegen nur hin und wieder weg. Und ich habe dann auch geguckt, wie viele von denen sind wenigstens einmal sechs Monate am Stück im Ausland gewesen? Das ist ja ein sehr geringer Maßstab. Auch das ist nur gut jeder Fünfte. Das heißt, die überwältigende Mehrheit von über 70 Prozent sind ihr ganzes Leben, was die Ausbildung angeht, was die Berufslaufbahn angeht, was den Wohnort angeht, in dem Land geblieben, in dem sie auch groß geworden sind..."

Dieser Befund hat Ähnlichkeiten mit Ergebnissen meiner Forschung, die im Jahr 2002 veröffentlicht wurde. Darin ging es um die Frage, ob es denn angesichts der internationalen Ausrichtung von Unternehmen noch so etwas wie Loyalität zu nationalstaatlichen Gerechtigkeitsvorstellungen gebe. Sie war viel stärker als erwartet. Näheres finden Sie hier.

Sascha Liebermann

Kindergrundsicherung, bedingungsloses Grundeinkommen - Protokoll der Anhörung online

Am 27. Oktober 2016 fand die Anhörung zu einem Antrag der Fraktion der Piraten im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des Landtags von Nordrhein-Westfalen statt. Nun ist das Ausschussprotokoll online verfügbar, so dass man sich einen Eindruck von den Ausführungen machen kann, die über die vorab eingereichten Stellungnahmen hinausgehen. Eindrücke von der Anhörung hatte Sasche Liebermann hier geschildert.

16. März 2017

Deutsche Welle über "Universal Basic Income" - sehr kurzes Interview mit Sascha Liebermann

Gesendet wurde das Interview, dem ein Kurzbericht über das Grundeinkommensexperiment in Finnland voranging, im Rahmen von "The Morning Show - English News" (7.30-8 Uhr), am 16. März. Hier geht es zum Video (der Link ist nur bis 23. März aktiv).

15. März 2017

Krisenalarmismus bei Markus Lanz (ZDF) - ist das der Grundeinkommensdiskussion förderlich?



Es war wieder einmal Richard David Precht zu Gast (zur ganzen Sendung geht es hier), der offenbar ein Abo für die Teilnahme hat. Diesmal äußerte er sich recht ausführlich zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Wie schon früher geht er die Sache vor allem von der Digitalisierung aus und ihren Folgen für die Arbeitswelt an - teils ziemlich undifferenziert, als sei alles Mögliche auch wünschenswert. Wie jüngst Thomas Straubhaar weist Precht auf die wichtigste Frage hin, die es für ein Gemeinwesen gibt, die Frage danach, wie wir leben wollen. Dass Precht die Gegenwart unterschätzt und den Bürgern zu wenig zutraut, war in einer anderen Sendung zu erkennen, siehe hier. Weitere Kommentare von Sascha Liebermann zu Prechts früheren Ausführungen finden Sie hier.

14. März 2017

"Von der Utopie zur Wirklichkeit - das bedingungslose Grundeinkommen als Retter der Demokratie"...

...darüber schreibt Jens Thaele in der Huffington Post und erwähnt am Ende auch das Bündnis Grundeinkommen.

Das Ehegattensplitting: einfach rückständig?

Im Magazin makro, auf 3sat, ging es kürzlich um das Ehegattensplitting im Steuerrecht. Unter dem Titel "Ehe-Bonus vor dem Aus" wurden die Eigenheiten dieser Regelung dargelegt. Dabei wurden die Folgen, die sie für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften habe, ebenso dargelegt wie die fehlenden "Anreize" zur Erwerbsaufnahme für Frauen. Die Sendung lieferte Einblicke in eine schon länger geführte Diskussion über diese Regelung in Deutschland und ihre Folgen. Allerdings dominierte eine Perspektive auf die Sache, die ebenso erstaunen konnte. Fraglos wurde vorausgesetzt, dass Altersarmut von Frauen oder auch Alleinerziehenden nur auf einem Weg verhindert werden könne: durch Erwerbstätigkeit. Deswegen müsse die Betreuungsinfrastruktur ausgebaut werden, damit die Erwerbsquote von Frauen gesteigert werden könne. Nur so sei Vollerwerbstätigkeit möglich und können die nötigen Beitragsjahre für die Rentenversicherung aufgebracht werden. Und was bedeutet das alles für das Familienleben? Was bedeutet es für Tätigkeiten, die nicht-erwerbsförmig sind?

Diese Fragen spielten keine Rolle, die Frage, welche Folgen ein solchermaßen ausgerichtete Sozial- und Steuerpolitik für Familien (nicht nur für Frauen) habe, wurde nicht erwähnt, womöglich nicht einmal bedacht. Dass eine Steigerung der Erwerbsquote, also eine noch stärkere Ausrichtung der Lebensführung an Erwerbstätigkeit, immer zu Lasten des Familienlebens geht, ja überhaupt zu Lasten der zweckfreien Begegnung mit anderen, liegt auf der Hand. Der Tag (Wachzeit) hat nur etwa 12-18 Stunden, aus Kindersicht ist er kürzer. Wer davon 9-11 Stunden (Regelarbeitszeit, Pause, Pendelzeit) mit Erwerbstätigkeit verbringt, hat für das Familienleben kaum Zeit übrig, vor allem nicht dafür, gemeinsame Erfahrungen mit den Kindern zu machen (siehe auch hier und hier). Wer das Steuerrecht vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie in Erwerbstätigkeit gebracht werden können, weil dies zu Wertschöpfung beitrage und Altersarmut entgegenwirke, verliert das Leben aus den Augen. Was das langfristig bedeutet, lässt sich erahnen, denn die frühesten Erfahrungen bedingungsloser Solidarität machen Kinder dort, wo ihre Eltern verlässlich da sind. Das sind heute meist die Mütter, es können genauso die Väter sein, aber beide sind grundsätzlich nicht zu vergleichen mit der Dienstleistung von Erziehern in Betreuungseinrichtungen. Wenn aber genau diese Seite des Lebens, die Seite der bedingungslosen, zweckfreien Hinwendung derart hinter Erwerbstätigkeit zurückgestellt werden, dann muss man sich über die Folgen nicht wundern.

Das Ehegattensplitting wird heute schnell als rückständig betrachtet, als Relikt aus alten Zeiten abgestempelt. Es hat erhebliche Schwächen, weil es gar nicht für Familien gleichermaßen förderlich ist. Angesichts dessen, was die Experten in der makro-Sendung teilweise vorschlagen, verschafft es jedoch noch einen gewissen Schonraum. Wer ihn aufgeben will, bräuchte eine Alternative, die nicht-erwerbsförmige Tätigkeiten anerkennt, die es unterstützte, wenn Eltern zuhause bleiben. Da gibt es bessere steuertechnische Lösungen oder einfach, andere Wege zu beschreiten: am weitreichendsten wäre allerdings das Bedingungslose Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

13. März 2017

10. März 2017

"Das Agenda-Trauma"...

...ein Rückblick auf die Agenda 2010 und ihre Folgen auf Zeit Online, zugleich eine überraschend differenzierte Darstellung der Entwicklung des Niedriglohnsektors und seiner Vorgeschichte sowie des Arbeitsmarkts im Allgemeinen. Was die "Arbeitslosigkeit" betrifft allerdings fällt der Artikel ab im Vergleich zu diesem hier von Stefan Sell (hier, hier und hier). Keine Rede ist vom Arbeitsvolumen, das darüber Auskunft gibt, was denn die Zunahme an Erwerbstätigen tatsächlich bedeutet: eine starke Zunahme an Teilzeitarbeit. Zur These, das Arbeitslosengeld II habe den "Anreiz" zur Arbeitsaufnahme erhöht, sind die nachstehend aufgeführten Untersuchungen instruktiv, die zugleich das Armutsfallentheorem empirisch kritisieren:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

In diesen Untersuchungen wird herausgehoben, dass weniger die "Anreize", die das Lohnabstandsgebot setzen, dafür verantwortlich waren, dass Leistungsbezieher relativ schnell den Leistungsbezug wieder verließen, auch schon vor der Agenda 2010, sondern individuelle Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten sowie die Qualität der Beratung im damaligen Arbeitsamt.

Siehe auch "Clemens Fuest (Ifo-Institut) über den „wirklichen Menschen…"
 

Sascha Liebermann

Sozialgericht Gotha bringt Sanktionen erneut vor das Bundesverfassungsgericht

Geschehen ist das schon im vergangenen August, nachdem das Bundesverfassungsgericht die erste Vorlage zurückgewiesen hatte. Auch Tacheles e. V. aus Wuppertal wurde um eine Stellungnahme zur Vorlage und dem Sachverhalt gebeten, ebenso der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Stellungnahme von Tacheles Sozialhilfe e. V. ist auch interessant, um Einblick in die Entstehung des Bundessozialhilfegesetzes und die es betreffende Rechtsprechung zu erhalten. Siehe auch den Kommentar in Christel T's Blog (Beitrag nicht mehr zugänglich, SL 2.11.18) und die Aufzeichnung einer Diskussion zur Frage: Hartz IV-Sanktionen verfassungswidrig - ein Streitgespräch.

9. März 2017

"Juha testet das Grundeinkommen – macht es faul?"...

...die Standardfrage stellt der Zürcher Tagesanzeiger und berichtet in einem langen Beitrag über das Pilotprojekt in Finnland. Juha Järvinen, einer der Bezieher, wird porträtiert - nicht das erste Mal. Zur Standardfrage siehe auch das Interview mit Sascha Liebermann und Theo Wehner bei Zeit Online aus dem Jahr 2011 sowie "Schlaraffenland oder verwirklichte Bürgergesellschaft?", die Langfassung des Zeit-Interviews.

"Bedingungsloses Grundeinkommen – Konzept der Grünen Jugend Hessen"...

...hier geht es zum Konzept. Siehe auch den Aufruf der Grünen Jugend Bayern vom vergangenen Jahr. Die Grüne Jugend hat allerdings auch diesen Aufruf unterschrieben.

8. März 2017

Bündnis Grundeinkommen - Sammeln für Zulassung zu Landtags- und Bundestagswahlen

Für das Saarland ist es schon gelungen, für Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und den Bund wird noch gesammelt. Beide Landtagswahlen finden im Mai, die Bundestagswahl im September statt. Die Unterstützerunterschriften werden benötigt, damit die Zulassung zu den Wahlen erfolgen kann. Weitere Informationen und Formulare zum Herunterladen finden Sie hier.

KörberForum: "Radikal gerecht" Thomas Straubhaar und Ulrike Herrmann

Die Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Thomas Straubhaar und Ulrike Herrmann (taz) enthält auch Zuschauerfragen. Eine Leseprobe des Buches finden Sie hier.

An einer Stelle des Gesprächs kommt Frau Herrmann auf die Rente zu sprechen und dass es sich dabei um Eigentumsansprüche handele. Wie wollte Straubhaar damit umgehen? Zuerst verweist er auf den Bestandsschutz. Dann allerdings stellt er die Frage, was denn von diesem Rentensystem in Zukunft zu erwarten sei. Mit dem Hinweis auf die erworbenen Eigentumsansprüche könne noch jeder Wandel verhindert werden. An dieser Stelle hätte ein einfacher Hinweis auf die aktuelle Durchschnittsrente nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (S. 34 f.) ausgereicht. Sie lag Ende Dezember 2015 in den alten Bundesländern bei 1040 (Männer) bzw. bei 580 € (Frauen). Auf S. 38 des Berichts der Deutchen Rentenversicherung zeigt sich, dass etwa 50% der Männer und etwa 89% der Frauen eine Rente bis 1050 € erhalten. Mit einem BGE würden also für die große Mehrheit erhebliche Verbesserungen erreicht gemessen an heutigen Daten.

Sascha Liebermann

7. März 2017

Die Bodenzeitung - einfach und hilfreich

Es liegt nun schon zwei Jahre zurück, dass wir auf die Bodenzeitung hingewiesen haben, die von der Kölner Initiative Grundeinkommen seit einiger Zeit genutzt wird. Henrik Wittenberg informierte gemeinsam mit Felix Coeln bei der jüngsten BGE:open17.2 in Köln über die Erfahrungen damit, die Herstellung und manches mehr. Bei Hendrik Wittenberg kann sie auch bestellt werden:
Ansprechpartner: Henrik Wittenberg
h.wittenberg@bgekoeln.de
Telefon: (0177) 170 93 99

6. März 2017

Agenda 2010 zurückdrehen? I wo

Nachdem das erste Aufheulen um die Äußerungen des Spitzenkandidaten der SPD, Martin Schulz, passé ist, wird wieder Klartext geredet. Mehrfach ist, nun auch von der taz (siehe ebenso die Kommentare von Stefan Sell hier und hier), darauf hingewiesen worden, dass lediglich die etwaige Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Bezieher über 50 Jahre in Erwägung gezogen wird. Von Veränderungen im Arbeitslosengeld II war in seinen Äußerungen gar nicht der Rede. Die Agenda 2010 ist von ihm also überhaupt nicht in Frage gestellt worden.

In dieselbe Richtung weisen Äußerungen aus der CDU. Bleiben also noch die Linke und die  Grünen übrig. Aber was ist von dort zu erwarten? Von den Grünen wurde jüngst ein "8-Punkte-Plan" veröffentlicht. Darin wird eine sanktionsfreie - andere nennen sie repressionsfreie - Grundsicherung "angestrebt". Ein schönes Ziel, denn das klingt gut angesichts der Sanktionspraxis im Bereich des Arbeitslosengeldes II. Wie realistisch ist das?

Ein Sozialstaat, in dessen Zentrum Erwerbstätigkeit steht, kann auf Sanktionen gar nicht verzichten
. Sie dienen dazu, Leistungsbezieher anzuhalten ihren Pflichten nachzukommen. Ohne Sanktionen hätten die Jobcenter keine Druckmittel. Auf diesen Zusammenhang hat Helga Spindler, eine vehemente Kritikerin gegenwärtiger Sozialpolitik, sehr deutlich und durchaus widersprüchlich hingewiesen.

Wer also eine Abkehr vom Sanktionsregime will, muss die Erwerbszentrierung aufheben und das Mindesteinkommen ohne Wenn und Aber bereitstellen. Alles andere ist illusionär. Wer also weder Repressionen noch Sanktionen will, muss einen Schritt weiter gehen, um das zu erreichen. Dann wäre er aber schon beim BGE.

Sascha Liebermann

3. März 2017

Grundeinkommen, bedingungslos - was bedeutet das?

Wir erhalten immer wieder einmal Anfragen zu Aspekten der Grundeinkommensdiskussion, die offenbar für Verwirrung sorgen oder zumindest missverständlich sind. Jüngst ging es dabei um die genaue Bedeutung des Adjektivs "bedingungslos". Angesichts seiner Unterbestimmtheit beißen sich manche Kritiker gerade daran fest, um gegen das BGE zu wettern, statt wohlwollend an einer Klärung mitzuwirken.

Das Attribut bedingungslos ist nicht frei von Missverständlichkeiten, denn es ist unterbestimmt. Sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Diskussion werden deswegen noch andere Attribute gebraucht, wie z. B. „universal“, garantiert, allgemein. Sie sind jedoch nicht weniger missverständlich, denn sie könnten gleichermaßen zur Beschreibung von Hartz IV verwendet werden, auf das immerhin ein Rechtsanspruch besteht. Vereindeutigen lässt sich diese Unklarheit des Adjektivs "bedingungslos" nur, wenn man sich vor Augen führt, worum es beim BGE geht und weshalb in der deutschen Diskussion das Attribut „bedingungslos“ eine so große Rolle spielt. Der ganze Vorschlag eines BGE richtet sich zuallererst gegen die Bedürftigkeitsprüfung bzw. die Regelung, Ansprüche durch Erwerbsarbeit erworben haben zu müssen, damit eine Einkommenssicherung (ALG I und Rente) gewährt wird. Diese Bedeutung der Bedingungslosigkeit ist ziemlich klar und findet sich ebenso beim Basic Income Earth Network, ohne dass dort von Bedingungslosigkeit die Rede ist.

Wird Bedürftigkeit bzw. Anspruchserwerb durch Beiträge als Kriterium für die basale Existenzsicherung hingegen aufgegeben, dann hat das Folgen für die bedürftigkeitsgeprüften Leistungen, die oberhalb eines BGE in Zukunft weiterhin bestehen sollen. Denn im Zentrum steht nun nicht mehr die Bedürftigkeit auf Grund des Ausfalls von Erwerbseinkommen bzw. von Erwerbsunfähigkeit, sondern die Bedürftigkeit aufgrund besonderer Lebenslagen, ohne dass Erwerbstätigkeit normativ Vorrang genösse. Erwerbstätigkeit als normatives Ziel stünde nicht mehr im Zentrum des Sozialstaats, sondern das Individuum. Damit änderte sich fast alles.

Dass die Bedingungslosigkeit selbst Bedingungen kennt (siehe meine Ausführungen hier), ist selbstverständlich. Es sind dies aber nicht Gegenleistungsbedingungen wie in den heutigen Systemen sozialer Sicherung, sondern Bereitstellungsbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es ein BGE geben kann. Das fängt schon damit an, dass ein Gemeinwesen die Bereitstellung durchsetzt und absichert. Dann muss es verteilbare Überschüsse geben, also ein bestimmter Wohlstand ist erforderlich. Wir können noch andere Bedingungen nennen, die in der Sache selbst liegen. Ein BGE wird, das ist als solches interessant, nur in den Staaten bzw. Kulturen auf Resonanz stoßen, die einen starken Begriff von Individualität und Gemeinschaft zugleich haben. Das erklärt, weshalb es bislang vor allem in westlichen Demokratien debattiert wird. Selbstbestimmung muss also schon zu den selbstverständlichen Werten gehören, damit ein BGE überhaupt für relevant erachtet wird. Weiterhin muss es eine Bezugsbedingung geben, die mit Zugehörigkeit zum Gemeinwesen bzw. dem Lebensmittelpunkt verbunden ist. Heute wird das über Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus geregelt. Erstere ist unerlässlich, weil es einen Souverän, der über sich selbst bestimmt, nur geben kann, wenn zwischen Angehörigen und Nicht-Angehörigen eines Gemeinwesens unterschieden wird. Staatsangehörige müssen das Gemeinwesen tragen, Entscheidungen verantworten und zur Aufrechterhaltung der politischen Ordnung beitragen. Nicht-Angehörige müssen all dies nur akzeptieren.

Dass zur Bereitstellung eines BGE Steuern notwendig sind, ist selbstverständlich, denn ohne Steuern können hoheitliche Aufgaben nicht erfüllt werden. Wenn nun in der Diskussion hier und dort behauptet wird, bedingungslos sei ein BGE nur, wenn es die Steuerlast nicht verändere insgesamt, dann ist das eine eigenwillige Ausdeutung der Bedingungslosigkeit. Sie ist ebenso eigenwillig wie die Haltung mancher Befürworter, ein "echtes" BGE davon abhängig zu machen, ob es mit Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung oder anderen Regelungen einhergeht.

Sascha Liebermann

2. März 2017

"Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize..."...

...so Thomas Straubhaar in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen. Die Passage, die ich hier herausheben möchte, findet sich gegen Ende des Interviews und lautet:

TA:"Was macht Sie so sicher, dass ein Grundeinkommen nicht vor allem fauler macht?"
S: "Weil es empirisch widerlegt ist! Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize. Wir reden von einem Existenzminimum. Wenn man Menschen fragt, ob sie ein Leben lang von 1000 Euro leben wollen, würden die meisten Nein sagen. Auch weil Arbeit für viele etwas ist, das den Tag strukturiert, soziale Kontakte, Anerkennung und Genugtuung schafft."

Wie bekommt man das zusammen? Zuerst wird der Mensch als bequem eingeordnet, der aber auf "ökonomische Anreize", das müssen in dem Fall Stimuli sein, reagiert. Das ist wieder so einfach gedacht wie schon in anderen Beiträgen von Straubhaar - letztlich sozialmechanisch. Dass die Lebenspraxis der Maxime folgt, Bewährtes nicht ohne Not aufzugeben, ist keine Bequemlichkeit. Es erlaubt vielmehr Kontinuität, Verlässlichkeit und damit einen unaufgeregten Alltag. Das kann durchaus auch so weit gehen, dass an Bewährtem noch festgehalten wird, wenn es Probleme nicht mehr löst, die es einst zu lösen in der Lage war. Das ist aber ein anderer Blick auf "Bequemlichkeit", als Straubhaar ihn erkennen lässt. Dass "Anreize" - ein missverständlicher Begriff - lediglich Handlungsmöglichkeiten sind, die z. B. von der Warte eines Individuums aus bewertet werden, geht dabei verloren. Sie wirken nicht lenkend auf das Individuum ein, sie stellen es lediglich vor Handlungsalternativen. Anreize erzeugen aber nicht ein bestimmtes Handeln. Wie jemand mit diesen Handlungsalternativen umgeht, hängt sowohl von Bildungsprozessen sowie kollektiven Bewertungen dieser Alternativen ab.

Gegen Ende des  zitierten Absatzes bringt Straubhaar dann andere Gründe dafür ins Spiel, die nicht mehr im engeren Sinne "ökonomische Anreize" darstellen. Wer (Erwerbs-)Arbeit benötigt, um eine Tagesstruktur zu erhalten, für den ist die Sache, um die es in der Arbeit gehen sollte, nachrangig. Erwerbsarbeit erhält dadurch beinahe eine therapeutische Dimension. Das bringt erhebliche Einschränkungen mit sich für die Bewältigung von Aufgaben, um die es in Erwerbstätigkeit gehen sollte.

"Soziale Kontakte", die durch Erwerbstätigkeit entstehen, sind vor allem kollegialer Art, denn Personen begegnen sich am Arbeitsplatz bezogen auf einen Zweck, dem sie dienen, nicht aber um ihrer selbst willen. Das wird oft übersehen und deswegen das Verhältnis zu Kollegen verklärt. Dabei ist es für Kollegialbeziehungen wichtig, beides auseinanderzuhalten, freundschaftliche und kollegiale Beziehungen, zur Stärkung der einen, der kollegialen, wie der anderen, der freundschaftlichen Seite. Werden sie nicht auseinandergehalten, sind Loyalitätskonflikte die Folge. Entsprechend steht in Kollegialbeziehungen die Aufgabe im Zentrum, in persönlichen (soziologisch: diffusen) Beziehungen steht die Person im Zentrum. Anerkennung, die Straubhaar hier ebenso anführt, bezieht sich in Kollegialbeziehungen auf Leistung, nicht auf die Person jenseits davon. Anerkennung um ihrer selbst willen, also Anerkennung der Person, nicht der Leistung wegen, gibt es nur in Beziehungen, wo diese auch im Zentrum steht: in Familie, Freundschaften und Gemeinwesen (Bürger). Die Aufgabenbezogenheit von Kollegialbeziehungen ist auch der Grund, weshalb Integration von Personen als ganzen Menschen, gerade nicht durch Kollegialbeziehungen geschieht. Integration im Sinne einer Anerkennung der Person erfolgt über den Zugehörigkeitsstatus zum Gemeinwesen, in republikanischen Demokratien am umfassendsten durch Staatsbürgerschaft, weil sie aktive und passive Rechte in vollem Umfang beinhaltet.

An einer anderen Stelle hebt Straubhaar heraus, dass Finanzierungsfragen tatsächlich Gestaltungsfragen sind - ein wichtiger Hinweis, denn oft werden Finanzierungsfragen so behandelt, als gingen sie den Gestaltungsfragen voraus. Solange man nicht weiß, was gestaltet werden soll, kann auch die Finazierung nicht in Angriff genommen werden:

TA: "Sie schreiben, die Frage der Finanzierbarkeit sei dramatisch falsch gestellt. Ist das nicht die eigentliche Grundsatzfrage?"
S: "Das ist richtig, aber die allererste Frage muss doch sein: Was soll wofür finanziert werden? Was soll der deutsche Sozialstaat im Jahr 2025 oder 2040 leisten? Wie weit soll er Leistungsstaat sein, wie weit Gerechtigkeitsstaat und Umverteilungsstaat? Das sind die zentralen gesellschaftlichen Fragen der Zukunft, und daraus ergeben sich Mittelbedarf und Finanzierbarkeit. Das Grundeinkommen ist ein Instrument, um politische Ziele zu erreichen, aber die muss man erst einmal definieren."

Sascha Liebermann

1. März 2017

SWR2 Impuls - Das Bedingungslose Grundeinkommen...

...wurde im Rahmen des "Wissensmagazin" des SWR aufgegriffen. Karl Justus Bernhard Neumärker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Freiburg, wurde interviewt.

"The Future of Not Working" - Grundeinkommen in Kenia

...ein Beitrag über das Grundeinkommensprojekt in Kenia im New York Times Magazine. Siehe Kommentare von Sascha Liebermann zu diesem Projekt